Jigoku (1960)
Ein Film von Nobuo Nakagawa
Bewertung: 8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Jigoku
Genre: Exploitation, Horror-Film, Ero/guru
Regie: Nobuo Nakagawa
Darsteller: Shigeru Amachi (Shiro Shimizu), Utako Mitsuya (Yukiko/Sachiko), Yoichi Numata (Tamura), Hiroshi Hayashi (Gozo Shimizu), Jun Otomo (Ensai Taniguchi), Akiko Yamashita (Kinuko), Kiyoko Tsuji (Kyoichis Mother), Fumiko Miyata (Mrs. Yajima), Torahiko Nakamura (Professor Yajima), Kimie Tokudaiji (Ito Shimizu), Akiko Ono (Yoko), Tomohiko Otani (Dr. Kusama), Koichi Miya (Journalist Akagawa), Sakutaro Yamakawa (Fisherman) Gesamten Cast anzeigen...
Drehbuch: Nobuo Nakagawa, Ichiro Miyagawa
Kamera: Mamoru Morita
Musik: Michiaki Watanabe
Shin Toho, 101 Minuten, Color
Jigoku
Genre: Exploitation, Horror-Film, Ero/guru
Regie: Nobuo Nakagawa
Darsteller: Shigeru Amachi (Shiro Shimizu), Utako Mitsuya (Yukiko/Sachiko), Yoichi Numata (Tamura), Hiroshi Hayashi (Gozo Shimizu), Jun Otomo (Ensai Taniguchi), Akiko Yamashita (Kinuko), Kiyoko Tsuji (Kyoichis Mother), Fumiko Miyata (Mrs. Yajima), Torahiko Nakamura (Professor Yajima), Kimie Tokudaiji (Ito Shimizu), Akiko Ono (Yoko), Tomohiko Otani (Dr. Kusama), Koichi Miya (Journalist Akagawa), Sakutaro Yamakawa (Fisherman) Gesamten Cast anzeigen...
Drehbuch: Nobuo Nakagawa, Ichiro Miyagawa
Kamera: Mamoru Morita
Musik: Michiaki Watanabe
Shin Toho, 101 Minuten, Color
Fragt man einen beliebigen Filmfan, welcher Film denn der erste Splatter- und Gorefilm gewesen sei, so wird dieser mit großer Wahrscheinlichkeit "Blood Feast" aus dem Jahr 1963 antworten. Natürlich ist so eine Aussage immer äußerst zweifelhaft, besonders, wenn es sich um ein relativ naheliegendes Stilmittel wie das explizite Darstellen von Gewalt handelt.
So gab es zu jener Zeit bereits die exzellenten Kaidan eiga ("Geisterfilme") von Nobuo Nakagawa aus den 1950er Jahren, welche noch vor H.G Lewis` "erstem" Splatterfilm eine bemerkenswerte Mühe auf die Betonung der Verletzungen grausam zugerichteter Opfer von überirdischen Kräften legten.
Nobuo Nakagawa, ein Veteran seit den 1930er Jahren, war in den 1950er Jahren ein Vertragsregisseur der "Shintoho"-Studios, wo er während seiner äußerst produktiven Horrorperiode einige revolutionäre Geisterfilme drehte, weswegen er heute als Urvater des japanischen Horrorfilms bezeichnet wird.
Das Höllenspektakel "Jigoku" von 1960 stellt dabei sein ambitioniertestes und persönlichstes Werk dar, ein Film, für den Nakagawa selbst eine hohe Summe an Geld aus eigener Tasche aufbrachte, als sein finanziell äußerst labiles Studio sich weigerte, seine monumentale Inszenierung der buddhistischen Höllenmythologie zu finanzieren.
Doch der Film war seiner Zeit weit voraus und floppte an den Kinokassen. In der Folge ging auch Shintoho bankrott und Jigoku wird heute oft als der Film bezeichnet, der Shintoho den Todesstoß versetzte. Er könnte aber auch als der Film bezeichnet werden, der das Genre des Splatterfilms begründete.
Schließlich handelt es sich bei ihm um die Vision eines hochtalentierten Künstlers und nicht um das Produkt schneller Geldmacherei, wie bei H.G Lewis` Blood Feast, weshalb Jigoku ein wesentlich würdigerer Anwärter auf den Posten des ersten Splatterfilms wäre, als der qualitativ eher minderwertige Blood Feast.
Story:
Shiro Shimizu (Shigeru Amachi) ist ein junger Theologie-Student und frisch verlobt mit Yukiko (Utako Mitsuya), der Tochter seines Professors an der Universität. Doch sein geordnetes Leben gerät urplötzlich aus der Bahn, als er eines Nachts einen Yakuza mit dem Auto überfährt und anschließend Fahrerflucht begeht. Sein Beifahrer, der dämonische Tamura (Yoichi Numata), kann ihn vorerst überzeugen, den Unfall nicht der Polizei zu melden, aber die Mutter des Yakuza kann sich Shiros Nummernschild notieren und sinnt gemeinsam mit der Freundin des Verstorbenen auf Rache. Bald schon ereignen sich weitere Schicksalsschläge in Shiros Leben und durch den Einfluss seines vermeintlichen Freundes Tamura beginnt er sich unfreiwillig zu versündigen. Bald schon befindet er sich in einem Strudel aus Verbrechen und moralischer Verwerflichkeit, dessen Sog ihn und sein gesamtes Umfeld auf geradem Wege in die Untiefen der Hölle zieht.
Kritik:
Man könnte Jigoku leicht als moralistisches und vereinfachendes Machwerk abtun, in welchem die "Bösen" in der Hölle schmoren, während die "Guten" und Leidgeplagten wenigstens im Tod ihren Seelenfrieden finden. Doch Nobuo Nakagawas Vision der buddhistischen Hölle stellt die Frage nach der Möglichkeit von himmlischer Gerechtigkeit und gerechtfertigten Höllenqualen mit einer nicht zu vernachlässigenden Subversivität und Intelligenz.
Im Laufe des Films kommt unser Protagonist, der Student Shiro Shimizu, in eine wortwörtliche "Vorhölle" menschlicher Bosheit und moralischen Verfalls. Shiros Vater schläft mit seiner Mätresse, während Shiros Mutter, nur von einer dünnen Wand getrennt, sterbenskrank im Bett liegt. Der Fischer gibt den Insassen eines Altenheimes (ironischerweise mit dem Namen "Himmelsgarten") giftigen Fisch als Nahrung und der Hausarzt des Ortes vernachlässigt seine Patienten aus Bequemlichkeit.
Nach der christlichen Vorstellung von Gerechtigkeit verdienen es diese Menschen, in der Hölle zu schmoren und tatsächlich müssen sie auch in Jigoku nach ihrem Tod die schrecklichsten aller Höllenqualen ertragen. Doch auch Shiros unschuldige Freundin Yukiko wandert in die Hölle, für ihr "Verbrechen" vor ihren Eltern gestorben zu sein. Ebenso ergeht es den Eltern, welche aus Kummer den schändlichen Weg des Selbstmordes wählen.
Doch am interessantesten ist der Höllen-Gang von Shiro, der zu Lebzeiten eigentlich nur ein Opfer seiner Umstände und unglücklicher Schicksalsverknüpfungen war. Zu allen Sünden, die er begeht, wird er von dem dämonischen und geheimnisvollen Tamura verleitet, der auf erschreckende Weise immer dort auftaucht, wo auch Shiro sich befindet.
Tamura bleibt im Film immer eine äußerst wage Figur, welche voller Geheimnisse zu stecken scheint. Ist er mit dem Teufel im Bunde? Ist er ein Dämon, der den Menschen auf Erden Unglück bringen will? Yoichi Numata als Tamura zu besetzen, ist dabei ein Geniestreich, schließlich ähnelt der markante Schauspieler mit seinen spitzen Gesichtszügen einem Teufel und spielt Tamura mit einer bösartigen Energie und vergiftetem Charme.
Doch selbst sein Tamura muss am Ende des Films die Bestrafung der Hölle erleiden und kann sich nicht an seiner Funktion als Diener der Hölle erfreuen. Ist Shiro also ein Opfer seiner eigenen Passivität, welche es ihm unmöglich machte, sich vom Einfluss Tamuras zu befreien? Dabei will er am Anfang, nach seiner Fahrerflucht, sogar noch zur Polizei fahren, wobei ihm jedoch eine kosmische Fügung einen Strich durch die Rechnung macht.
Dann scheint er sich seinem Schicksal jedoch zu ergeben und ist von nun an nur mehr ein unglückliches Opfer seines moralisch verwerflichen Umfeldes. Aufgrund von Shiros Passivität könnte man Jigoku deshalb als fatalistischen Film bezeichnen, doch auch diese Bezeichnung trifft nicht völlig auf den Film zu. Viel mehr scheint die Botschaft des Films auf die freie Willenskraft des Menschen und die schicksalhaften Verbindungen zwischen jedem Lebewesen abzuzielen.
Schließlich wird Tamura dafür bestraft, sich bewusst für das Böse entschieden, während Shiro für seine Entscheidung bestraft wird, das Böse stoisch ertragen zu haben. Die eigentliche Tragik dabei liegt darin, dass sie jeden Menschen um sich herum mit ihrer Einstellung in den Abgrund reißen. Jedes Unglück, jeder Tod in Jigoku ist das Produkt von unglücklichen Personenkonstellationen und Ereignisketten, die nicht abwendbar zu sein scheinen.
Diesen faszinierenden Themenkomplex bettet Nobuo Nakagawa im ersten Teil des Films, welcher noch auf der Erde spielt, in eine düstere und nihilistische Atmosphäre ein. Mit einer streng durchkomponierten Bildersprache, bestehend aus langen Takes, eleganten Kamerafahren und einer durchdachten Objekt-Symbolik (das rote Kleid einer Tänzerin und ein lila Regenschirm sind immer wiederkehrende Motive) verleiht er dem Geschehen eine bemerkenswerte Tiefe und Melancholie, weshalb Jigoku niemals wirklich wie Exploitation wirkt, sondern durch seine überraschend sensible Darstellung komplizierter Charakter-Beziehungen überzeugt.
Letztendlich wird natürlich jedes Ereignis in der ersten Hälfte des Films von Nobuo Nakagawas visuell extravaganter Höllenvision in den Schatten gestellt. Hier gewinnt der Film schon deutlich mehr den Eindruck eines Splatter- oder Exploitationfilms: Körper werden zerhackt, Haut wird abgezogen und Füße durchbohrt, alles mit für jene Zeit soliden Effekten, erstaunlich viel Blutvergießen und dem nervenzerrenden Geschrei der Opfer.
Doch mehr noch als das Blut überzeugen die genialen Visuals in der Hölle. Besonders beeindruckend, wenn man den Low-Budget-Charakter des Films bedenkt. Jedes Mitglied des Casts musste sich aktiv am Bau der Sets beteiligen und viele clevere Tricks mussten angewandt werden (zum Beispiel war der "Spiegel der Hölle" ein Wascheimer, indem Lebensmittelfarbe umgerührt wurde), um ein glaubhaftes Bild der Hölle auf die Leinwand zu zaubern.
Insofern ist der Film auch ein Testament an die Schaffenskraft und Kreativität der Effektspezialisten jener Zeit und die farbenprächtigen Bauten und klugen Bildtricks haben auch heute nichts von ihrer Faszination und ihrer Professionalität verloren. Auch der Soundtrack ist hochinteressant und mischt eingängige Jazz-Musik mit dem markerschütternden Geschrei von Frauen und einem Regisseur, der zu Anfang des Films "Action" ruft und dem Film so eine weitere Meta-Ebene verleiht.
Wie schön wäre es doch, wenn Jigoku wirklich der erste Splatterfilm der Welt wäre. Doch dieser Gedanke bleibt wohl mehr Wunsch als Realität. Gerade bei einem so wage formulierten Genre wie dem Splatterfilm wird es wohl unmöglich sein, so etwas wie einen ersten Vertreter zu finden. Doch verdient hätte Jigoku diese Auszeichnung zweifellos und kann so vielleicht nicht als erster Splatterfilm, aber als "überragendes" und visionäres Magnum Opus des japanischen Horrorfilms bezeichnet werden.
Fazit:
Jigoku ist ein klug inszenierter, melancholischer und düsterer Film, dessen Symbolik und sensibel inszenierte Charakter-Beziehungen in der zweiten Hälfte der extravaganten Visualisierung der Hölle weichen müssen, die dem Film als den Höhepunkt von Nakagawa Horrorperiode ausweisen.
8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 02. 06. 2013
Geschrieben von Pablo Knote
So gab es zu jener Zeit bereits die exzellenten Kaidan eiga ("Geisterfilme") von Nobuo Nakagawa aus den 1950er Jahren, welche noch vor H.G Lewis` "erstem" Splatterfilm eine bemerkenswerte Mühe auf die Betonung der Verletzungen grausam zugerichteter Opfer von überirdischen Kräften legten.
Nobuo Nakagawa, ein Veteran seit den 1930er Jahren, war in den 1950er Jahren ein Vertragsregisseur der "Shintoho"-Studios, wo er während seiner äußerst produktiven Horrorperiode einige revolutionäre Geisterfilme drehte, weswegen er heute als Urvater des japanischen Horrorfilms bezeichnet wird.
Das Höllenspektakel "Jigoku" von 1960 stellt dabei sein ambitioniertestes und persönlichstes Werk dar, ein Film, für den Nakagawa selbst eine hohe Summe an Geld aus eigener Tasche aufbrachte, als sein finanziell äußerst labiles Studio sich weigerte, seine monumentale Inszenierung der buddhistischen Höllenmythologie zu finanzieren.
Doch der Film war seiner Zeit weit voraus und floppte an den Kinokassen. In der Folge ging auch Shintoho bankrott und Jigoku wird heute oft als der Film bezeichnet, der Shintoho den Todesstoß versetzte. Er könnte aber auch als der Film bezeichnet werden, der das Genre des Splatterfilms begründete.
Schließlich handelt es sich bei ihm um die Vision eines hochtalentierten Künstlers und nicht um das Produkt schneller Geldmacherei, wie bei H.G Lewis` Blood Feast, weshalb Jigoku ein wesentlich würdigerer Anwärter auf den Posten des ersten Splatterfilms wäre, als der qualitativ eher minderwertige Blood Feast.
Story:
Shiro Shimizu (Shigeru Amachi) ist ein junger Theologie-Student und frisch verlobt mit Yukiko (Utako Mitsuya), der Tochter seines Professors an der Universität. Doch sein geordnetes Leben gerät urplötzlich aus der Bahn, als er eines Nachts einen Yakuza mit dem Auto überfährt und anschließend Fahrerflucht begeht. Sein Beifahrer, der dämonische Tamura (Yoichi Numata), kann ihn vorerst überzeugen, den Unfall nicht der Polizei zu melden, aber die Mutter des Yakuza kann sich Shiros Nummernschild notieren und sinnt gemeinsam mit der Freundin des Verstorbenen auf Rache. Bald schon ereignen sich weitere Schicksalsschläge in Shiros Leben und durch den Einfluss seines vermeintlichen Freundes Tamura beginnt er sich unfreiwillig zu versündigen. Bald schon befindet er sich in einem Strudel aus Verbrechen und moralischer Verwerflichkeit, dessen Sog ihn und sein gesamtes Umfeld auf geradem Wege in die Untiefen der Hölle zieht.
Kritik:
Man könnte Jigoku leicht als moralistisches und vereinfachendes Machwerk abtun, in welchem die "Bösen" in der Hölle schmoren, während die "Guten" und Leidgeplagten wenigstens im Tod ihren Seelenfrieden finden. Doch Nobuo Nakagawas Vision der buddhistischen Hölle stellt die Frage nach der Möglichkeit von himmlischer Gerechtigkeit und gerechtfertigten Höllenqualen mit einer nicht zu vernachlässigenden Subversivität und Intelligenz.
Im Laufe des Films kommt unser Protagonist, der Student Shiro Shimizu, in eine wortwörtliche "Vorhölle" menschlicher Bosheit und moralischen Verfalls. Shiros Vater schläft mit seiner Mätresse, während Shiros Mutter, nur von einer dünnen Wand getrennt, sterbenskrank im Bett liegt. Der Fischer gibt den Insassen eines Altenheimes (ironischerweise mit dem Namen "Himmelsgarten") giftigen Fisch als Nahrung und der Hausarzt des Ortes vernachlässigt seine Patienten aus Bequemlichkeit.
Nach der christlichen Vorstellung von Gerechtigkeit verdienen es diese Menschen, in der Hölle zu schmoren und tatsächlich müssen sie auch in Jigoku nach ihrem Tod die schrecklichsten aller Höllenqualen ertragen. Doch auch Shiros unschuldige Freundin Yukiko wandert in die Hölle, für ihr "Verbrechen" vor ihren Eltern gestorben zu sein. Ebenso ergeht es den Eltern, welche aus Kummer den schändlichen Weg des Selbstmordes wählen.
Doch am interessantesten ist der Höllen-Gang von Shiro, der zu Lebzeiten eigentlich nur ein Opfer seiner Umstände und unglücklicher Schicksalsverknüpfungen war. Zu allen Sünden, die er begeht, wird er von dem dämonischen und geheimnisvollen Tamura verleitet, der auf erschreckende Weise immer dort auftaucht, wo auch Shiro sich befindet.
Tamura bleibt im Film immer eine äußerst wage Figur, welche voller Geheimnisse zu stecken scheint. Ist er mit dem Teufel im Bunde? Ist er ein Dämon, der den Menschen auf Erden Unglück bringen will? Yoichi Numata als Tamura zu besetzen, ist dabei ein Geniestreich, schließlich ähnelt der markante Schauspieler mit seinen spitzen Gesichtszügen einem Teufel und spielt Tamura mit einer bösartigen Energie und vergiftetem Charme.
Doch selbst sein Tamura muss am Ende des Films die Bestrafung der Hölle erleiden und kann sich nicht an seiner Funktion als Diener der Hölle erfreuen. Ist Shiro also ein Opfer seiner eigenen Passivität, welche es ihm unmöglich machte, sich vom Einfluss Tamuras zu befreien? Dabei will er am Anfang, nach seiner Fahrerflucht, sogar noch zur Polizei fahren, wobei ihm jedoch eine kosmische Fügung einen Strich durch die Rechnung macht.
Dann scheint er sich seinem Schicksal jedoch zu ergeben und ist von nun an nur mehr ein unglückliches Opfer seines moralisch verwerflichen Umfeldes. Aufgrund von Shiros Passivität könnte man Jigoku deshalb als fatalistischen Film bezeichnen, doch auch diese Bezeichnung trifft nicht völlig auf den Film zu. Viel mehr scheint die Botschaft des Films auf die freie Willenskraft des Menschen und die schicksalhaften Verbindungen zwischen jedem Lebewesen abzuzielen.
Schließlich wird Tamura dafür bestraft, sich bewusst für das Böse entschieden, während Shiro für seine Entscheidung bestraft wird, das Böse stoisch ertragen zu haben. Die eigentliche Tragik dabei liegt darin, dass sie jeden Menschen um sich herum mit ihrer Einstellung in den Abgrund reißen. Jedes Unglück, jeder Tod in Jigoku ist das Produkt von unglücklichen Personenkonstellationen und Ereignisketten, die nicht abwendbar zu sein scheinen.
Diesen faszinierenden Themenkomplex bettet Nobuo Nakagawa im ersten Teil des Films, welcher noch auf der Erde spielt, in eine düstere und nihilistische Atmosphäre ein. Mit einer streng durchkomponierten Bildersprache, bestehend aus langen Takes, eleganten Kamerafahren und einer durchdachten Objekt-Symbolik (das rote Kleid einer Tänzerin und ein lila Regenschirm sind immer wiederkehrende Motive) verleiht er dem Geschehen eine bemerkenswerte Tiefe und Melancholie, weshalb Jigoku niemals wirklich wie Exploitation wirkt, sondern durch seine überraschend sensible Darstellung komplizierter Charakter-Beziehungen überzeugt.
Letztendlich wird natürlich jedes Ereignis in der ersten Hälfte des Films von Nobuo Nakagawas visuell extravaganter Höllenvision in den Schatten gestellt. Hier gewinnt der Film schon deutlich mehr den Eindruck eines Splatter- oder Exploitationfilms: Körper werden zerhackt, Haut wird abgezogen und Füße durchbohrt, alles mit für jene Zeit soliden Effekten, erstaunlich viel Blutvergießen und dem nervenzerrenden Geschrei der Opfer.
Doch mehr noch als das Blut überzeugen die genialen Visuals in der Hölle. Besonders beeindruckend, wenn man den Low-Budget-Charakter des Films bedenkt. Jedes Mitglied des Casts musste sich aktiv am Bau der Sets beteiligen und viele clevere Tricks mussten angewandt werden (zum Beispiel war der "Spiegel der Hölle" ein Wascheimer, indem Lebensmittelfarbe umgerührt wurde), um ein glaubhaftes Bild der Hölle auf die Leinwand zu zaubern.
Insofern ist der Film auch ein Testament an die Schaffenskraft und Kreativität der Effektspezialisten jener Zeit und die farbenprächtigen Bauten und klugen Bildtricks haben auch heute nichts von ihrer Faszination und ihrer Professionalität verloren. Auch der Soundtrack ist hochinteressant und mischt eingängige Jazz-Musik mit dem markerschütternden Geschrei von Frauen und einem Regisseur, der zu Anfang des Films "Action" ruft und dem Film so eine weitere Meta-Ebene verleiht.
Wie schön wäre es doch, wenn Jigoku wirklich der erste Splatterfilm der Welt wäre. Doch dieser Gedanke bleibt wohl mehr Wunsch als Realität. Gerade bei einem so wage formulierten Genre wie dem Splatterfilm wird es wohl unmöglich sein, so etwas wie einen ersten Vertreter zu finden. Doch verdient hätte Jigoku diese Auszeichnung zweifellos und kann so vielleicht nicht als erster Splatterfilm, aber als "überragendes" und visionäres Magnum Opus des japanischen Horrorfilms bezeichnet werden.
Fazit:
Jigoku ist ein klug inszenierter, melancholischer und düsterer Film, dessen Symbolik und sensibel inszenierte Charakter-Beziehungen in der zweiten Hälfte der extravaganten Visualisierung der Hölle weichen müssen, die dem Film als den Höhepunkt von Nakagawa Horrorperiode ausweisen.
8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 02. 06. 2013
Geschrieben von Pablo Knote
Screenshots (spiegeln die Qualität der DVD wieder):
created by Nippon-Kino.net
all rights reserved.
all rights reserved.