Our Neighbor, Miss Yae (1934)
Ein Film von Yasujiro Shimazu
Bewertung: 8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Tonari no Yae-chan
Genre: Gendai-geki, Shomin-geki, Komödie
Regie: Yasujiro Shimazu
Darsteller: Ryotaro Mizushima (Chichi), Yumeko Aizome (Yaeko), Choko Iida (Hamako), Ayako Katsuragi (Sugiko), Yukichi Iwata (Hattori Shosaku), Yoshiko Okada (Kyouko), Akio Isono (Seiji), Sanae Takasugi (Manabe Etsuko), Shozaburo Abe, Den Obinata (Keitaro)
Drehbuch: Yasujiro Shimazu
Kamera: Takashi Kuwabara
Musik: Hikaru Saotome
Shochiku Eiga, 76 Minuten, S/W
Tonari no Yae-chan
Genre: Gendai-geki, Shomin-geki, Komödie
Regie: Yasujiro Shimazu
Darsteller: Ryotaro Mizushima (Chichi), Yumeko Aizome (Yaeko), Choko Iida (Hamako), Ayako Katsuragi (Sugiko), Yukichi Iwata (Hattori Shosaku), Yoshiko Okada (Kyouko), Akio Isono (Seiji), Sanae Takasugi (Manabe Etsuko), Shozaburo Abe, Den Obinata (Keitaro)
Drehbuch: Yasujiro Shimazu
Kamera: Takashi Kuwabara
Musik: Hikaru Saotome
Shochiku Eiga, 76 Minuten, S/W
Gibt es eine ehrenwürdigere Filmgattung als den
Shomin-geki-Film? Was könnte schon unprätentiöser, poetischer und zugleich
wichtiger sein, als ein Genre, welches sein gesamtes Augenmerk auf die
Darstellung des alltäglichen Lebens der japanischen Mittelklasse legt und dem
Zuschauer so einen kulturell unschätzbaren Einblick in die Lebensweise, die
Sorgen und die Freuden des durchschnittlichen japanischen Bürgers im Laufe der
Jahrzehnte erlaubt.
Dabei darf man das Genre keineswegs mit einer Seifenoper oder einer billig weggedrehten Pseudo-Doku verwechseln. Die besten Shomin-geki-Filme zeichnen sich durch ihre wunderbaren Schauspieler, äußerst sorgfältig gezeichneten Figuren und einer scharfsinnigen und unpolemischen Analyse des gerade herrschenden Zeitgeists aus, wobei im Idealfall auch die politische und soziale Mentalität der Japaner charakterisiert und oft auch kritisiert wird.
Eine der erste Ikonen des Genres war der Regisseur Yasujiro Shimazu, der heute vor allem als Mentor von solch Größen des Genres wie Shiro Toyoda, Yuzu Kawashima, Heinosuke Gosho oder Noburo Nakamura beinahe legendären Status besitzt. Ein Mann also, der indirekt einen gigantischen Beitrag für das Genre leistete, indem er seine gefeiertesten, wenn im Westen auch durchgehend unbekannten Ikonen ausbildete.
Sein eigenes Werk bleibt dabei heute allerdings weitgehend obskur, so dass sich allenfalls der hier vorliegende Film "Our Neighbor, Miss Yae" über eine gewisse Bekanntheit unter Genre-Kennern erfreuen kann. In manchen Kreisen wird er dort als Meilenstein des Shomin-geki gefeiert, so bezeichnete ihn der profilierte Filmkritiker Donald Richie einmal als "einen der feinsten Filme über die japanischen Mittelklasse".
Der hohe Status des Films erschließt sich einem wohl am besten, wenn man ihn aus einen zeithistorischen Kontext betrachtet. Was oberflächlich wie ein kleiner und unscheinbarer Film anmutet, erweist sich bei genauerer Sach-Kenntnis als ein Meilenstein des Shomin-geki, der viele Stilmittel des Genres perfektionierte und so unzählige Nachfolger zum bloßen Kopieren verdammte.
Story:
In einem kleinen Vorort irgendwo in einer ländlichen Gegend Japans leben zwei benachbarte Familien, deren Väter eine enge Freundschaft verbindet. Auch zwischen den Nachbarskindern, dem Jura-Student Keitaro (Den Obinata) und der bezaubernden Oberschülerin Yae (Yumeko Aizome), entwickelt sich eine Freundschaft, aus der mit der Zeit ein gegenseitiges romantisches Interesse erwächst. Doch das friedliche Leben der Nachbarschaft wird urplötzlich ins Chaos gestürzt, als Yaes Schwester Kyouko (Yoshiko Okada) nach einer unglücklichen Scheidung wieder ins Haus der Eltern einzieht und zu Yaes Unglück bald schon ebenfalls ein Interesse für Keitaro bekundet...
Kritik:
Auf den ersten Blick ist "Our Neighbor, Miss Yae" inhaltlich wie stilistisch ein ausgesprochen "kleiner" Film. In aller Ruhe und mit geradezu spartanischem Verzicht auf das Aufblasen der dramaturgischen Höhepunkte wird ein Ausschnitt aus dem Leben zweier Mittelklasse-Familien erzählt, wobei vorhandene Konflikte von Yasujiro Shimazu äußerst dezent und leise behandelt werden, so dass die Erzählkurve stets auf einem gleichbleibenden dramatischen Level zu verbleiben scheint.
Doch genau diese "höhepunktslose" Struktur ist es, welche die Perfektion eines elementaren Stilmittels des Shomin-geki offenbart: Es handelt sich dabei um das Prinzip des "Slice of life", der authentischen Wiedergabe eines Ausschnitts aus dem alltäglichen Lebens, die dem Genre seine charakteristisch treibende Stimmung verleiht, welche die Atmosphäre des realen Lebens wiederspiegelt und dem Genre so auch seine Wahrhaftigkeit gibt.
Insofern wirkt in "Our Neighbor, Miss Yae" kein Konflikt aufgesetzt, kein dramaturgischer Kniff unnatürlich aufgeblasen, sondern immer dem Verhalten der Charaktere geschuldet und der Charakterisierung ihres Alltags verpflichtet. Durch die Ankunft von Yaes Schwester und ihre daraus resultierende Eifersucht auf ihr Verhältnis mit Yaes Freund Keitaro, wird dem Plot melodramatisches Potential gegeben, doch auch hier ist Shimazu deutlich mehr am Charakterisieren des Zeitgeists interessiert, als an einem abgedroschenen Eifersuchts-Drama.
Shimazu beschreibt den Wandel der Zeiten und scheint doch am Ende auszusagen, dass sich letztendlich nichts ändert. Ehefrauen lassen sich scheiden, Kinder entdecken ihre Sexualität und Zuneigung füreinander und Beziehungen zerbrechen, doch letztlich bleiben die Menschen dieselben und unterwerfen sich bereitwillig der Flüchtigkeit des Moments. Passenderweise wiederholt Shimazu in der letzten Einstellung auch die Anfangszenen. Trotz zahlreicher Veränderungen bleibt Alles beim Alten, dass ist der treibende Rhythmus des Lebens.
Auf die Charaktere des Films bezogen ist dies auch einer der schönsten, aber in der Aussage des Films vollkommen schlüssigen Aspekte von "Our Neighbor, Miss Yae", den man aus der Handlung ziehen kann. Trotz der inzwischen fast 80 vergangenen Jahre seit Entstehung des Films sind die Menschen mit ihren grundlegenden Emotionen immer noch dieselben, wobei so etwas wie Nationalität keinen Einfluss auf die essentiellen Wünsche und Sorgen des individuellen Menschen zu haben scheint.
So sorgfältig sind die Charaktere im Film gezeichnet, so leise und nuanciert spielen die Schauspieler um Yumeko Aizome als Yae und Altstar Choko Iida als Mutter von Keitaro, dass sie auch heute äußerst lebensnah und vertraut wirken. Dies verleiht Shimazus Werk eine bemerkenswerte Zeitlosigkeit, die aber ebenfalls vollkommen dem Slice of life-Prinzip zu verdanken ist, welches auf die Charakterisierung der Essenz des alltäglichen Lebens und des Verhaltens der Menschen abzielt.
Im Gegensatz zu den Menschen, ist der Zeitgeist aber stetiger Änderung und äußerster Wankelmütigkeit unterworfen, doch Shimazu schafft es auch ihn vollkommen unaufgeregt und perfekt auf die Atmosphäre des Films eingestimmt einzubinden, wodurch ein unverfälschtes und zeithistorisch äußerst relevantes Bild des Vorkriegs-Japans gezeichnet wird.
In fast nebensächlich inszenierten Szenen, erfahren wir durch den Baseball-Fanatismus Keitaros und seines Bruders vom Einfluss Amerikas auf die Kultur der Japaner. Zugleich bekommen wird aber auch einen dezenten Einblick in düstere, von aggressivem Expansion und Krieg geprägte Zukunft Japans, indem einer der Söhne etwa Deutschvokabeln lernt und eine der beiden Familien am Ende in die Mandschurei übersiedelt.
"Our Neighbor, Miss Yae“ mag nicht ganz so stilistisch ausgefallen und emotional intensiv sein wie die Filme eines Yasujiro Ozu oder Mikio Naruse, doch er ist zweifellos einer der reinsten und authentischsten Vertreter des Genres.
Ein Film, der als einer der ersten Vertreter seiner Art einen ungefilterten Blick auf das alltägliche Leben richtete und so als Zeitdokument von großem Wert ist, aber zugleich mit seinem leisen Humor, der leichtfüßigen Erzählweise und seiner Perfektion des Slice-of-life-Prinzips auch jene eigentümliche Poesie heraufbeschwört, welche wie eine Feier auf die so schöne Banalität des Lebens wirkt.
Fazit:
"Our Neighbor, Miss Yae" ist einer der essentiellen Vertreter des Shomin-geki, der mit seiner leisen Regieführung, den exzellenten Schauspielern und der charakteristischen Handlungskurve das Slice-of-life-Prinzip des Genres perfektioniert und zudem auch zeithistorische Bezüge überaus subtil in den treibenden Rhythmus des Films verwebt, die den Film als ungefilterten Einblick in das Vorkriegs-Japan zu einem wichtigen Zeitdokument machen.
8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 10. 08. 2013
Geschrieben von Pablo Knote
Dabei darf man das Genre keineswegs mit einer Seifenoper oder einer billig weggedrehten Pseudo-Doku verwechseln. Die besten Shomin-geki-Filme zeichnen sich durch ihre wunderbaren Schauspieler, äußerst sorgfältig gezeichneten Figuren und einer scharfsinnigen und unpolemischen Analyse des gerade herrschenden Zeitgeists aus, wobei im Idealfall auch die politische und soziale Mentalität der Japaner charakterisiert und oft auch kritisiert wird.
Eine der erste Ikonen des Genres war der Regisseur Yasujiro Shimazu, der heute vor allem als Mentor von solch Größen des Genres wie Shiro Toyoda, Yuzu Kawashima, Heinosuke Gosho oder Noburo Nakamura beinahe legendären Status besitzt. Ein Mann also, der indirekt einen gigantischen Beitrag für das Genre leistete, indem er seine gefeiertesten, wenn im Westen auch durchgehend unbekannten Ikonen ausbildete.
Sein eigenes Werk bleibt dabei heute allerdings weitgehend obskur, so dass sich allenfalls der hier vorliegende Film "Our Neighbor, Miss Yae" über eine gewisse Bekanntheit unter Genre-Kennern erfreuen kann. In manchen Kreisen wird er dort als Meilenstein des Shomin-geki gefeiert, so bezeichnete ihn der profilierte Filmkritiker Donald Richie einmal als "einen der feinsten Filme über die japanischen Mittelklasse".
Der hohe Status des Films erschließt sich einem wohl am besten, wenn man ihn aus einen zeithistorischen Kontext betrachtet. Was oberflächlich wie ein kleiner und unscheinbarer Film anmutet, erweist sich bei genauerer Sach-Kenntnis als ein Meilenstein des Shomin-geki, der viele Stilmittel des Genres perfektionierte und so unzählige Nachfolger zum bloßen Kopieren verdammte.
Story:
In einem kleinen Vorort irgendwo in einer ländlichen Gegend Japans leben zwei benachbarte Familien, deren Väter eine enge Freundschaft verbindet. Auch zwischen den Nachbarskindern, dem Jura-Student Keitaro (Den Obinata) und der bezaubernden Oberschülerin Yae (Yumeko Aizome), entwickelt sich eine Freundschaft, aus der mit der Zeit ein gegenseitiges romantisches Interesse erwächst. Doch das friedliche Leben der Nachbarschaft wird urplötzlich ins Chaos gestürzt, als Yaes Schwester Kyouko (Yoshiko Okada) nach einer unglücklichen Scheidung wieder ins Haus der Eltern einzieht und zu Yaes Unglück bald schon ebenfalls ein Interesse für Keitaro bekundet...
Kritik:
Auf den ersten Blick ist "Our Neighbor, Miss Yae" inhaltlich wie stilistisch ein ausgesprochen "kleiner" Film. In aller Ruhe und mit geradezu spartanischem Verzicht auf das Aufblasen der dramaturgischen Höhepunkte wird ein Ausschnitt aus dem Leben zweier Mittelklasse-Familien erzählt, wobei vorhandene Konflikte von Yasujiro Shimazu äußerst dezent und leise behandelt werden, so dass die Erzählkurve stets auf einem gleichbleibenden dramatischen Level zu verbleiben scheint.
Doch genau diese "höhepunktslose" Struktur ist es, welche die Perfektion eines elementaren Stilmittels des Shomin-geki offenbart: Es handelt sich dabei um das Prinzip des "Slice of life", der authentischen Wiedergabe eines Ausschnitts aus dem alltäglichen Lebens, die dem Genre seine charakteristisch treibende Stimmung verleiht, welche die Atmosphäre des realen Lebens wiederspiegelt und dem Genre so auch seine Wahrhaftigkeit gibt.
Insofern wirkt in "Our Neighbor, Miss Yae" kein Konflikt aufgesetzt, kein dramaturgischer Kniff unnatürlich aufgeblasen, sondern immer dem Verhalten der Charaktere geschuldet und der Charakterisierung ihres Alltags verpflichtet. Durch die Ankunft von Yaes Schwester und ihre daraus resultierende Eifersucht auf ihr Verhältnis mit Yaes Freund Keitaro, wird dem Plot melodramatisches Potential gegeben, doch auch hier ist Shimazu deutlich mehr am Charakterisieren des Zeitgeists interessiert, als an einem abgedroschenen Eifersuchts-Drama.
Shimazu beschreibt den Wandel der Zeiten und scheint doch am Ende auszusagen, dass sich letztendlich nichts ändert. Ehefrauen lassen sich scheiden, Kinder entdecken ihre Sexualität und Zuneigung füreinander und Beziehungen zerbrechen, doch letztlich bleiben die Menschen dieselben und unterwerfen sich bereitwillig der Flüchtigkeit des Moments. Passenderweise wiederholt Shimazu in der letzten Einstellung auch die Anfangszenen. Trotz zahlreicher Veränderungen bleibt Alles beim Alten, dass ist der treibende Rhythmus des Lebens.
Auf die Charaktere des Films bezogen ist dies auch einer der schönsten, aber in der Aussage des Films vollkommen schlüssigen Aspekte von "Our Neighbor, Miss Yae", den man aus der Handlung ziehen kann. Trotz der inzwischen fast 80 vergangenen Jahre seit Entstehung des Films sind die Menschen mit ihren grundlegenden Emotionen immer noch dieselben, wobei so etwas wie Nationalität keinen Einfluss auf die essentiellen Wünsche und Sorgen des individuellen Menschen zu haben scheint.
So sorgfältig sind die Charaktere im Film gezeichnet, so leise und nuanciert spielen die Schauspieler um Yumeko Aizome als Yae und Altstar Choko Iida als Mutter von Keitaro, dass sie auch heute äußerst lebensnah und vertraut wirken. Dies verleiht Shimazus Werk eine bemerkenswerte Zeitlosigkeit, die aber ebenfalls vollkommen dem Slice of life-Prinzip zu verdanken ist, welches auf die Charakterisierung der Essenz des alltäglichen Lebens und des Verhaltens der Menschen abzielt.
Im Gegensatz zu den Menschen, ist der Zeitgeist aber stetiger Änderung und äußerster Wankelmütigkeit unterworfen, doch Shimazu schafft es auch ihn vollkommen unaufgeregt und perfekt auf die Atmosphäre des Films eingestimmt einzubinden, wodurch ein unverfälschtes und zeithistorisch äußerst relevantes Bild des Vorkriegs-Japans gezeichnet wird.
In fast nebensächlich inszenierten Szenen, erfahren wir durch den Baseball-Fanatismus Keitaros und seines Bruders vom Einfluss Amerikas auf die Kultur der Japaner. Zugleich bekommen wird aber auch einen dezenten Einblick in düstere, von aggressivem Expansion und Krieg geprägte Zukunft Japans, indem einer der Söhne etwa Deutschvokabeln lernt und eine der beiden Familien am Ende in die Mandschurei übersiedelt.
"Our Neighbor, Miss Yae“ mag nicht ganz so stilistisch ausgefallen und emotional intensiv sein wie die Filme eines Yasujiro Ozu oder Mikio Naruse, doch er ist zweifellos einer der reinsten und authentischsten Vertreter des Genres.
Ein Film, der als einer der ersten Vertreter seiner Art einen ungefilterten Blick auf das alltägliche Leben richtete und so als Zeitdokument von großem Wert ist, aber zugleich mit seinem leisen Humor, der leichtfüßigen Erzählweise und seiner Perfektion des Slice-of-life-Prinzips auch jene eigentümliche Poesie heraufbeschwört, welche wie eine Feier auf die so schöne Banalität des Lebens wirkt.
Fazit:
"Our Neighbor, Miss Yae" ist einer der essentiellen Vertreter des Shomin-geki, der mit seiner leisen Regieführung, den exzellenten Schauspielern und der charakteristischen Handlungskurve das Slice-of-life-Prinzip des Genres perfektioniert und zudem auch zeithistorische Bezüge überaus subtil in den treibenden Rhythmus des Films verwebt, die den Film als ungefilterten Einblick in das Vorkriegs-Japan zu einem wichtigen Zeitdokument machen.
8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 10. 08. 2013
Geschrieben von Pablo Knote
Screenshots (spiegeln die Qualität der DVD wieder):
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