Seisaku's Wife (1965)
Ein Film von Yasuzo Masumura

Bewertung: 8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Seisaku no tsuma
Genre: Gendai-geki, Anti-Kriegsfilm
Regie: Yasuzo Masumura
Darsteller: Ayao Wakao (Okane), Takahiro Tamura (Seisaku), Nobuo Chiba (Heisuke), Yuzo Hayakawa (Sergeant), Takamaru Sasaki, Yuka Konno (Oshina), Mikio Narita (MP), Taiji Tonoyama (Retired Man)
Drehbuch: Kaneto Shindo (Buch: Genjiro Yoshida)
Kamera: Tomohiro Akino
Musik: Tadashi Yamamuchi
Daiei Studios, 93 Minuten, S/W
Seisaku no tsuma
Genre: Gendai-geki, Anti-Kriegsfilm
Regie: Yasuzo Masumura
Darsteller: Ayao Wakao (Okane), Takahiro Tamura (Seisaku), Nobuo Chiba (Heisuke), Yuzo Hayakawa (Sergeant), Takamaru Sasaki, Yuka Konno (Oshina), Mikio Narita (MP), Taiji Tonoyama (Retired Man)
Drehbuch: Kaneto Shindo (Buch: Genjiro Yoshida)
Kamera: Tomohiro Akino
Musik: Tadashi Yamamuchi
Daiei Studios, 93 Minuten, S/W
Ein zentrales Thema vieler Filme des legendären Skandal-Regisseurs Yasuzo Masumura ist die zerstörerische Kraft der Liebe, welche sich schnell zur Obsession ausweiten kann. Besonders interessant ist dieses Thema, wenn Masumura es in den Kontext eines seiner Kriegsfilme stellt.
In Masumuras großartigem Anti-Kriegsfilm „Red Angel“ wird die sexuelle Liebe und das Verlangen als treibende, aber letztlich auch zerstörerische Kraft auf dem Schlachtfeld dargestellt, die jedoch die wertvolle Macht hat, Soldaten, welche ihre Menschlichkeiten für das Kollektiv eintauschten, wieder zu Individuen zu machen.
Ein thematisch ähnlicher, jedoch weitaus weniger bekannter Film ist Seisaku’s Wife, in dem die von Masumura gehasste Kollektivierung und Entmenschlichung in den Kontext des zunehmenden Militarismus während des russisch-japanischen Krieges in den 1900ern gestellt wird.
Und auch wenn "Seisaku’s Wife" nicht ganz die Perfektion von „Red Angel“ erreicht, so ist er doch einer von Masumuras wütendsten und kraftvollsten Filmen, indem erneut die Liebe als individualisierende Macht dargestellt wird, welche mit ihrer zerstörerischen Intensität, im wahrsten Sinne des Wortes, tiefe Wunden in den Körper und den Geist der Liebenden treiben kann.
Story:
Japan in den 1900er Jahren: Um ihre Eltern zu versorgen, ist Okane (Ayao Wakao) gezwungen, mit einem alten Mann (Taiji Tonoyama) zusammen zu leben, was sie zum Gespött der Anwohner, aber auch der restlichen Familie des Mannes macht. Als der Mann urplötzlich verstirbt, vermacht er Okane ein kleines Vermögen und ermöglicht ihr so, die Schulden der Eltern abzubezahlen. Gemeinsam mit ihrer Mutter zieht sie wieder in ihr Heimatdorf, wo sie mit ihrer Grazie und ihrer eleganten Kleidung jedoch schnell zur Zeilscheibe der Dörfler wird. Zur selben Zeit kehrt auch der tapfere Soldat Seisaku (Takahiro Tamura) von der Front in das Dorf zurück und wird dort als Held empfangen. Mit seinem unermüdlichen Tatendrang bringt er die Dörfler schon bald auf Trab und genießt höchsten Respekt. Doch er verliebt sich in Okane und zwischen den beiden entspinnt sich eine innige Liebe. Ein fataler Umstand, denn nun befindet auch er sich im Kreuzfeuer der Dörfler und muss hart um sein Image kämpfen. Zu allem Überfluss erhält er zudem einen Einzugsbefehl an die Front des hart umkämpften Port Arthur, weshalb Okane sich schon bald in der schrecklichen Situation befindet, von dem einzigen geliebten Menschen ihrer Umgebung im Stich gelassen zu werden und dem Hass der Dörfler erneut schutzlos ausgeliefert zu sein.
Kritik:
Zu Anfang des Films lebt unsere Hauptfigur Okane noch bei ihrem Mann, einem alten und steinreichen Lüstling, welchen sie heiraten musste, um ihre Eltern zu unterstützen. Natürlich empfindet sie nichts weiter als Ekel für ihren Günstling, obwohl dieser sie mit edlen Kimonos und sonstigen Geschenken überhäuft. Nach 10 Minuten endet dieser Teil des Films mit dem Tod des Mannes und findet im weiteren Handlungsverlauf kaum mehr Erwähnung. Insofern wird auch erst nach 10 Minuten die letzte Title-Card des Films auf der Leinwand abgebildet, bevor dann die eigentliche Handlung des Films folgt.
Diese längliche Einleitung dient dazu, unsere Heldin einzuführen und ihr Verhalten bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatdorf zu erklären. Durch ihre unglückliche Jugend (sie wurde mit 17 Jahren verheiratet) und ihr liebloses Umfeld, brodelt nun ein ausgeprägter Hass in ihrem Inneren, sie zieht sich gemeinsam mit ihrer Mutter in das eigene Haus zurück und meidet die Gesellschaft der Dorfleute.
Da sie zudem durch ihre Eleganz und ihre schönen Kleider deutlich aus der primitiven Dorfgemeinde heraussticht, fangen die ersten Dörfler an, sie zu beneiden und bald wird sie zum Hassobjekt des ganzen Dorfes. Eine „Hexe“ und Außenseiterin, über die man hinter vorgehaltener Hand spottet und die es zu verachten gilt.
Im Kontrast zur ihrer Ankunft im Dorf wird die Heimkehr des Soldaten Seisuke von der Front überschwänglich gefeiert. Er tritt als überkorrekter und militärisch indoktrinierter Kriegsheld auf, der bei seiner Rückkehr in das Dorf eine eiserne Glocke mitbringt, die er dazu nutzt, die Dörfler jeden Morgen in frühster Stunde aus dem Bett zu läuten und sie so quasi zum Appell antreten zu lassen.
Im Laufe des Films wird diese Glocke, auf einem Baum am höchsten Berg des Dorfes angebracht, zum Symbol von Seisukes Militarismus und blindem Gehorsam und bei seinem erneuten Einzug an die Front als trauriges Zeichen für Okanes Einsamkeit und Sehnsucht nach ihrem Geliebten.
Denn zwischen Okane und Seisuke, so unterschiedlich sie auch sein mögen, entwickelt sich schon bald eine innige Liebe, die sich im Falle von Okane schnell zur Obsession ausweitet. Im Gegensatz zu Seisuke besitzt Okane außer ihrem geistig behinderten Cousin Heisuke, der mit ihr zusammen lebt, keine Freunde oder Vertraute, sondern weiterhin nur erbitterte Feinde, die nicht aufhören wollen, sie zu schikanieren.
Seisuke hingegen versucht weiterhin seiner Position als „Vorbilds-Soldat“ nachzukommen. An der Front meldet er sich für ein Suizid-Kommando und wird schwer verletzt in sein Dorf zurückgeschickt, was Okane Kummer und große Angst bereitet, ihren Liebhaber zu verlieren. Hier offenbart sich auch deutlich die tiefe Verachtung, welche Masumura für den japanischen Militarismus empfindet und sein Hass für alle militaristischen Ströme der japanischen Gesellschaft.
Indem er an die Front zieht und seine Frau im Stich lässt, handelt Seisuke egoistisch und selbstsüchtig, doch tatsächlich erfüllt er damit nur die Erwartungen, welche das System an ihn stellt. Nicht er, sondern der japanische Militarismus trägt Schuld am Leid von Okane und so wird dieser von Masumura mit zunehmender Laufzeit immer mehr als unmenschliches und lächerliches System entlarvt.
Wenn die Dörfler, angeführt von dem pro-militaristischen Bürgermeister, bei Seisukes Ankunft "heroisch" mit ihren kleinen Japan-Fähnchen schwenken, dann wirkt ihre Parade aufgesetzt und überspitzt, später, wenn er schwer verletzt ein zweites Mal heimkehrt, nur noch verbohrt und unehrlich, besonders wenn der arme Narr Heisuke ebenfalls salutiert und dafür zur Lachnummer der Dörfler gemacht wird. Als der Krieg gegen Russland schließlich gewonnen ist, veranstalten die Dörfler eine lächerlich unbeeindruckende Parade mit Lampions, welche von einer Frau, die ihren Mann im Krieg verlor, nur traurig beobachtet wird.
Die Wut, die Yasuzo Masumura diesen japanischen Militaristen entgegenbringt, verleiht Seisaku’s Wife eine äußerst kraftvolle Note, doch seine ganze Intelligenz und Subversivität zeigt Masumura erst im letzten Drittel des Films, indem er Okane eine schreckliche Tat an Seisuke vollbringen lässt, die ihrerseits egoistisch und grausam wirkt, aber in Anbetracht ihrer furchtbaren Situation zweifellos ein gewisses Verständnis beim Zuschauer hervorruft.
Die auf Okanes Tat folgende Sequenz überrascht dann nicht nur durch ihre graphische Gewalt, sondern bewegt und verstört auch zutiefst, denn weil unsere Charaktere so großartig gezeichnet worden sind und die beiden Hauptdarsteller Ayao Wakao und Takahiro Tamura sie so nuanciert und glaubhaft verkörperten, treffen uns die folgenden Szenen wie ein Faustschlag ins Gesicht.
Hier reißt Masumura dem japanischen Militarismus seine Maske endgültig mit blanker Wut herunter. Wenn der Hass der großen Militärs sich schließlich entlädt und sie die wehrlose Okane am Boden stiefeln und kurz darauf, wenn Seisuke von den Dorfbewohnern unschuldig als Verräter beschimpft und attackiert wird, ist vom großen Heroismus und dem Ehrbegriff der „Truppen des Kaisers“ nichts mehr übrig.
Die Menschen, so Masumura, werden im Krieg zur Ware, die mit ihrer Untauglichkeit für den Krieg nutzlos wird. Sie sind nur als Kollektiv zu gebrauchen, das Individuum wird eliminiert und ausgegrenzt, ob es sich dabei um den behinderten Heisuke oder den unfreiwillig versehrten Seisuke handelt. Doch Seisaku’s Wife ist eben auch ein Film über Liebe und Obsession und so endet er mit beidseitiger Vergebung, die man den Hauptfiguren nach ihren überstandenen Torturen nur zu gerne können möchte.
Die letzte Einstellung ist schließlich besonders eindrucksvoll. Während der hilflos gewordene Seisuke mit ernstem Gesicht in der Nähe seiner Frau sitzt, beackert diese ein Feld mit dem Spaten. Eine so subtile, wie eindrückliche Szene, welche die nun wohl endgültige Zweisamkeit der Liebenden feiert, aber dem Zuschauer zugleich noch einmal die zerstörerischen Konsequenzen vor Auge führt, welche die Obsession ihrer Liebe letztendlich nach sich gezogen hat.
Diesen Themenkomplex bettet Masumura in eine präzise Bildersprache und ein flottes Erzähltempo ein. Keine Szene ist unnötig, jeder Moment bringt den Film voran, so dass Seisaku’s Wife mit seinen 93 Minuten keine Minute zu lang oder zu kurz ist, was auch dem exzellenten Drehbuch von Großmeister Kaneto Shindo zu verdanken ist. Auch die Musik des Komponisten Tadashi Yamauchi ist großartig. Er mischt melancholische Geigenklänge mit monotonen Trommelschlägen und verleiht dem Film damit hochwertige Klasse und emotionale Wucht.
Einziger Kritikpunkt wäre einmal mehr Masumuras Tendenz, nur die größten Extreme des Melodrams für das Erzählen seiner Geschichte zu gebrauchen. Seine Symbolik ist durchaus subtil, doch seine Botschaften werden stets mit Szenen extremster Gewalt und großem Melodrama eingehämmert, was im schlimmsten Fall die Ernsthaftigkeit des Films untergräbt, in Seisaku’s Wife aber nur gelegentlich in Form der unendlichen Heulkrämpfe von Okane stört.
Ansonsten ist Seisaku’s Wife nämlich ein überaus kraftvoller Film, dessen Gewalt und dargestellte Ungerechtigkeit auch heute noch eine große Wut im Zuschauer hervorrufen. Ein Film, der eine Kampfansage an den Militarismus darstellt, aber nie doktrinär wirkt, sondern in erster Linie eine packende Liebesgeschichte erzählt, die ihre Dramaturgie mit der Wucht einer emotionalen Achterbahnfahrt entfaltet.
Fazit:
Seisaku’s Wife ist eine vorbildlich gespielte, intensive und kraftvolle Liebesgeschichte um Obsession und Vergebung und zugleich eine mit blanker Wut geschilderte Milieustudie des aufkeimenden Militarismus und des herrschenden Egoismus in den primitiven Dorfgemeinden des Japans vor dem 1. Weltkrieg.
8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 27. 07. 2013
Geschrieben von Pablo Knote
In Masumuras großartigem Anti-Kriegsfilm „Red Angel“ wird die sexuelle Liebe und das Verlangen als treibende, aber letztlich auch zerstörerische Kraft auf dem Schlachtfeld dargestellt, die jedoch die wertvolle Macht hat, Soldaten, welche ihre Menschlichkeiten für das Kollektiv eintauschten, wieder zu Individuen zu machen.
Ein thematisch ähnlicher, jedoch weitaus weniger bekannter Film ist Seisaku’s Wife, in dem die von Masumura gehasste Kollektivierung und Entmenschlichung in den Kontext des zunehmenden Militarismus während des russisch-japanischen Krieges in den 1900ern gestellt wird.
Und auch wenn "Seisaku’s Wife" nicht ganz die Perfektion von „Red Angel“ erreicht, so ist er doch einer von Masumuras wütendsten und kraftvollsten Filmen, indem erneut die Liebe als individualisierende Macht dargestellt wird, welche mit ihrer zerstörerischen Intensität, im wahrsten Sinne des Wortes, tiefe Wunden in den Körper und den Geist der Liebenden treiben kann.
Story:
Japan in den 1900er Jahren: Um ihre Eltern zu versorgen, ist Okane (Ayao Wakao) gezwungen, mit einem alten Mann (Taiji Tonoyama) zusammen zu leben, was sie zum Gespött der Anwohner, aber auch der restlichen Familie des Mannes macht. Als der Mann urplötzlich verstirbt, vermacht er Okane ein kleines Vermögen und ermöglicht ihr so, die Schulden der Eltern abzubezahlen. Gemeinsam mit ihrer Mutter zieht sie wieder in ihr Heimatdorf, wo sie mit ihrer Grazie und ihrer eleganten Kleidung jedoch schnell zur Zeilscheibe der Dörfler wird. Zur selben Zeit kehrt auch der tapfere Soldat Seisaku (Takahiro Tamura) von der Front in das Dorf zurück und wird dort als Held empfangen. Mit seinem unermüdlichen Tatendrang bringt er die Dörfler schon bald auf Trab und genießt höchsten Respekt. Doch er verliebt sich in Okane und zwischen den beiden entspinnt sich eine innige Liebe. Ein fataler Umstand, denn nun befindet auch er sich im Kreuzfeuer der Dörfler und muss hart um sein Image kämpfen. Zu allem Überfluss erhält er zudem einen Einzugsbefehl an die Front des hart umkämpften Port Arthur, weshalb Okane sich schon bald in der schrecklichen Situation befindet, von dem einzigen geliebten Menschen ihrer Umgebung im Stich gelassen zu werden und dem Hass der Dörfler erneut schutzlos ausgeliefert zu sein.
Kritik:
Zu Anfang des Films lebt unsere Hauptfigur Okane noch bei ihrem Mann, einem alten und steinreichen Lüstling, welchen sie heiraten musste, um ihre Eltern zu unterstützen. Natürlich empfindet sie nichts weiter als Ekel für ihren Günstling, obwohl dieser sie mit edlen Kimonos und sonstigen Geschenken überhäuft. Nach 10 Minuten endet dieser Teil des Films mit dem Tod des Mannes und findet im weiteren Handlungsverlauf kaum mehr Erwähnung. Insofern wird auch erst nach 10 Minuten die letzte Title-Card des Films auf der Leinwand abgebildet, bevor dann die eigentliche Handlung des Films folgt.
Diese längliche Einleitung dient dazu, unsere Heldin einzuführen und ihr Verhalten bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatdorf zu erklären. Durch ihre unglückliche Jugend (sie wurde mit 17 Jahren verheiratet) und ihr liebloses Umfeld, brodelt nun ein ausgeprägter Hass in ihrem Inneren, sie zieht sich gemeinsam mit ihrer Mutter in das eigene Haus zurück und meidet die Gesellschaft der Dorfleute.
Da sie zudem durch ihre Eleganz und ihre schönen Kleider deutlich aus der primitiven Dorfgemeinde heraussticht, fangen die ersten Dörfler an, sie zu beneiden und bald wird sie zum Hassobjekt des ganzen Dorfes. Eine „Hexe“ und Außenseiterin, über die man hinter vorgehaltener Hand spottet und die es zu verachten gilt.
Im Kontrast zur ihrer Ankunft im Dorf wird die Heimkehr des Soldaten Seisuke von der Front überschwänglich gefeiert. Er tritt als überkorrekter und militärisch indoktrinierter Kriegsheld auf, der bei seiner Rückkehr in das Dorf eine eiserne Glocke mitbringt, die er dazu nutzt, die Dörfler jeden Morgen in frühster Stunde aus dem Bett zu läuten und sie so quasi zum Appell antreten zu lassen.
Im Laufe des Films wird diese Glocke, auf einem Baum am höchsten Berg des Dorfes angebracht, zum Symbol von Seisukes Militarismus und blindem Gehorsam und bei seinem erneuten Einzug an die Front als trauriges Zeichen für Okanes Einsamkeit und Sehnsucht nach ihrem Geliebten.
Denn zwischen Okane und Seisuke, so unterschiedlich sie auch sein mögen, entwickelt sich schon bald eine innige Liebe, die sich im Falle von Okane schnell zur Obsession ausweitet. Im Gegensatz zu Seisuke besitzt Okane außer ihrem geistig behinderten Cousin Heisuke, der mit ihr zusammen lebt, keine Freunde oder Vertraute, sondern weiterhin nur erbitterte Feinde, die nicht aufhören wollen, sie zu schikanieren.
Seisuke hingegen versucht weiterhin seiner Position als „Vorbilds-Soldat“ nachzukommen. An der Front meldet er sich für ein Suizid-Kommando und wird schwer verletzt in sein Dorf zurückgeschickt, was Okane Kummer und große Angst bereitet, ihren Liebhaber zu verlieren. Hier offenbart sich auch deutlich die tiefe Verachtung, welche Masumura für den japanischen Militarismus empfindet und sein Hass für alle militaristischen Ströme der japanischen Gesellschaft.
Indem er an die Front zieht und seine Frau im Stich lässt, handelt Seisuke egoistisch und selbstsüchtig, doch tatsächlich erfüllt er damit nur die Erwartungen, welche das System an ihn stellt. Nicht er, sondern der japanische Militarismus trägt Schuld am Leid von Okane und so wird dieser von Masumura mit zunehmender Laufzeit immer mehr als unmenschliches und lächerliches System entlarvt.
Wenn die Dörfler, angeführt von dem pro-militaristischen Bürgermeister, bei Seisukes Ankunft "heroisch" mit ihren kleinen Japan-Fähnchen schwenken, dann wirkt ihre Parade aufgesetzt und überspitzt, später, wenn er schwer verletzt ein zweites Mal heimkehrt, nur noch verbohrt und unehrlich, besonders wenn der arme Narr Heisuke ebenfalls salutiert und dafür zur Lachnummer der Dörfler gemacht wird. Als der Krieg gegen Russland schließlich gewonnen ist, veranstalten die Dörfler eine lächerlich unbeeindruckende Parade mit Lampions, welche von einer Frau, die ihren Mann im Krieg verlor, nur traurig beobachtet wird.
Die Wut, die Yasuzo Masumura diesen japanischen Militaristen entgegenbringt, verleiht Seisaku’s Wife eine äußerst kraftvolle Note, doch seine ganze Intelligenz und Subversivität zeigt Masumura erst im letzten Drittel des Films, indem er Okane eine schreckliche Tat an Seisuke vollbringen lässt, die ihrerseits egoistisch und grausam wirkt, aber in Anbetracht ihrer furchtbaren Situation zweifellos ein gewisses Verständnis beim Zuschauer hervorruft.
Die auf Okanes Tat folgende Sequenz überrascht dann nicht nur durch ihre graphische Gewalt, sondern bewegt und verstört auch zutiefst, denn weil unsere Charaktere so großartig gezeichnet worden sind und die beiden Hauptdarsteller Ayao Wakao und Takahiro Tamura sie so nuanciert und glaubhaft verkörperten, treffen uns die folgenden Szenen wie ein Faustschlag ins Gesicht.
Hier reißt Masumura dem japanischen Militarismus seine Maske endgültig mit blanker Wut herunter. Wenn der Hass der großen Militärs sich schließlich entlädt und sie die wehrlose Okane am Boden stiefeln und kurz darauf, wenn Seisuke von den Dorfbewohnern unschuldig als Verräter beschimpft und attackiert wird, ist vom großen Heroismus und dem Ehrbegriff der „Truppen des Kaisers“ nichts mehr übrig.
Die Menschen, so Masumura, werden im Krieg zur Ware, die mit ihrer Untauglichkeit für den Krieg nutzlos wird. Sie sind nur als Kollektiv zu gebrauchen, das Individuum wird eliminiert und ausgegrenzt, ob es sich dabei um den behinderten Heisuke oder den unfreiwillig versehrten Seisuke handelt. Doch Seisaku’s Wife ist eben auch ein Film über Liebe und Obsession und so endet er mit beidseitiger Vergebung, die man den Hauptfiguren nach ihren überstandenen Torturen nur zu gerne können möchte.
Die letzte Einstellung ist schließlich besonders eindrucksvoll. Während der hilflos gewordene Seisuke mit ernstem Gesicht in der Nähe seiner Frau sitzt, beackert diese ein Feld mit dem Spaten. Eine so subtile, wie eindrückliche Szene, welche die nun wohl endgültige Zweisamkeit der Liebenden feiert, aber dem Zuschauer zugleich noch einmal die zerstörerischen Konsequenzen vor Auge führt, welche die Obsession ihrer Liebe letztendlich nach sich gezogen hat.
Diesen Themenkomplex bettet Masumura in eine präzise Bildersprache und ein flottes Erzähltempo ein. Keine Szene ist unnötig, jeder Moment bringt den Film voran, so dass Seisaku’s Wife mit seinen 93 Minuten keine Minute zu lang oder zu kurz ist, was auch dem exzellenten Drehbuch von Großmeister Kaneto Shindo zu verdanken ist. Auch die Musik des Komponisten Tadashi Yamauchi ist großartig. Er mischt melancholische Geigenklänge mit monotonen Trommelschlägen und verleiht dem Film damit hochwertige Klasse und emotionale Wucht.
Einziger Kritikpunkt wäre einmal mehr Masumuras Tendenz, nur die größten Extreme des Melodrams für das Erzählen seiner Geschichte zu gebrauchen. Seine Symbolik ist durchaus subtil, doch seine Botschaften werden stets mit Szenen extremster Gewalt und großem Melodrama eingehämmert, was im schlimmsten Fall die Ernsthaftigkeit des Films untergräbt, in Seisaku’s Wife aber nur gelegentlich in Form der unendlichen Heulkrämpfe von Okane stört.
Ansonsten ist Seisaku’s Wife nämlich ein überaus kraftvoller Film, dessen Gewalt und dargestellte Ungerechtigkeit auch heute noch eine große Wut im Zuschauer hervorrufen. Ein Film, der eine Kampfansage an den Militarismus darstellt, aber nie doktrinär wirkt, sondern in erster Linie eine packende Liebesgeschichte erzählt, die ihre Dramaturgie mit der Wucht einer emotionalen Achterbahnfahrt entfaltet.
Fazit:
Seisaku’s Wife ist eine vorbildlich gespielte, intensive und kraftvolle Liebesgeschichte um Obsession und Vergebung und zugleich eine mit blanker Wut geschilderte Milieustudie des aufkeimenden Militarismus und des herrschenden Egoismus in den primitiven Dorfgemeinden des Japans vor dem 1. Weltkrieg.
8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 27. 07. 2013
Geschrieben von Pablo Knote
Screenshots (spiegeln die Qualität der DVD wieder):
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