Shura (1971)
Ein Film von Toshio Matsumoto
Bewertung: 9 von 10 Punkten = Meisterwerk!
Shura
Genre: Jidai-geki, Experimentalfilm
Regie: Toshio Matsumoto
Darsteller: Katsuo Nakamura (Gengobe), Yasuko Sanjo (Koman), Juro Kara (Sango), Masao Imafuku (Hachiemon), Tamotsu Tamura, Hideo Kanze,
Kappei Matsumoto, Shinshi Amano, Hatsuo Yamatani, Yusuke Minami
Drehbuch: Toshio Matsumoto (Theaterstück: Nanboku Tsuruya IV)
Kamera: Tatsuo Suzuki
Musik: -
ATG, Matsumoto Production, 135 Minuten, B/W
Shura
Genre: Jidai-geki, Experimentalfilm
Regie: Toshio Matsumoto
Darsteller: Katsuo Nakamura (Gengobe), Yasuko Sanjo (Koman), Juro Kara (Sango), Masao Imafuku (Hachiemon), Tamotsu Tamura, Hideo Kanze,
Kappei Matsumoto, Shinshi Amano, Hatsuo Yamatani, Yusuke Minami
Drehbuch: Toshio Matsumoto (Theaterstück: Nanboku Tsuruya IV)
Kamera: Tatsuo Suzuki
Musik: -
ATG, Matsumoto Production, 135 Minuten, B/W
Toshio Matsuomoto gehört zu den
faszinierendsten Independent-Filmemachern Japans. Einen Großteil
seines Filmschaffens widmete er dem Kurzfilm, doch in seiner Karriere
drehte er immerhin auch vier Spielfilme, die zu den experimentell
gewagtesten Kunstfilmen des 20. Jahrhunderts gehören und stilistisch
neue Pfade erschlossen, die danach kaum jemand mehr zu betreten
wagte.
Während Matsumotos Spielfilmdebüt, "Funeral Parade of Roses" (Bara no Soretsu, 1969), ein vermeintlich dokumentarischer Einblick in die japanische Schwulenszene der 1960er mit überbordender stilistischer Ideenfülle, von aufgeschlossenen Cineasten längst als einflussreiches Juwel des Kunstfilms wiederentdeckt wurde, sind Matsumotos andere Filme heute weitgehend obskur und warten noch immer auf eine professionelle Rezeption im Westen.
Ein großes Versäumnis, denn zumindest sein Zweitling, der vorliegende "Shura", übertrifft den legendären "Funeral Parade of Roses" in mancher Hinsicht. "Shura" setzt die visuelle Opulenz von "Funeral Parade of Roses" fort, besitzt aber zugleich eine größere Inszenierungsstrenge, deren Ikonographie des Blutes und der Finsternis ihn zu einem Erlebnis von erschreckender Intensität machen.
Story:
Der verarmte Ronin Gengobe (Katsuo Nakamura) bereitet sich darauf vor, an der Vendetta der 47 Ronin teilzunehmen. Um seine Schulden abzubezahlen und so seine Ehre als Samurai wiederherzustellen, überbringt ihm sein treuer Vassall Hachiemon (Masao Imafuku) die Summe von 100 Ryo, eine Spende der 47 Ronin. Als Gengobe jedoch erfährt, dass seine Verlobte, die Geisha Koman (Yasuko Sanjo), zur Heirat gezwungen werden soll, entschließt er sich, sie mit dem Geld freizukaufen. Doch das Glück über die Freiheit seiner Liebsten wird jäh zerschlagen, als sich die geplante Zwangsheirat als Finte von Koman und ihrem heimlichen Ehemann, dem Yakuza Sangoro (Juro Kara), erweist, die sich mit Gengobes Geld über alle Berge machen. Schwer getroffen von dem Verrat, begibt sich Gengobe auf einen Rachefeldzug, auf dessen Weg sich schon bald die Leichen der Opfer seines unstillbaren Grolls türmen.
Kritik:
Trotzdem "Shura" vor dem Hintergrund des legendären Angriffs der 47 Ronin auf das Anwesen des grausamen Lords Kira spielt, dient diese berühmte Vendetta nur als ironischer Kontrast zu der persönlichen Rache unseres Helden Gengobe. Während die Geschichte der 47 Ronin bis heute glorifiziert wird, erweist sich Gengobes Rache als grausamer und letztlich sinnloser Akt, der zum Untergang aller Beteiligten führt.
Von der ersten Szene an, wenn unser Held von einer Horde Polizisten verfolgt wird, deren Körper von der Nacht gänzlich verschlungen werden, so dass nur ihre Laternen hell hervorleuchten, wählt Toshio Matsumoto eine abstrakte Bildersprache der Finsternis. Dieses Austaschen einer Grundkomponenten eines Films, dem Licht, mit der Dunkelheit erlaubt Matsumoto eine einmalige Herrschaft über den Aufbau jedes Frames in seinem Film.
Mit präziser Orchestrierung von künstlichem Lichtfall hebt er einige Bildelemente hervor und verhüllt andere in der Schwärze des Hintergrunds. Eingefangen von der Kamera des brillanten New Wave-Kameramanns Tatsuo Suzuki erhalten diese Einstellungen eine bemerkenswerte Schönheit, eine verführerische und streng komponierte Eleganz der Finsternis und des Verderbens, die dem Zuschauer auch in tiefster Schwärze erlaubt, die Pracht der Mise-en-scene zu bestaunen.
Tiefschwarz ist auch das Blut, welches die Opfer von Gengobe vergießen. Wenige Jidai-geki davor oder danach inszenierten die Gewalt graphisch derart überspitzt, aber doch gleichzeitig so grausam und ungeschönt. Körperteile werden mit Schwertern abgehackt, Menschen blutig durchstoßen und am Ende fällt selbst ein Baby dem Gemetzel zum Opfer – all dies von einer Zeitlupe stets unerbittlich in die Länge gezogen.
Ein Stilmittel, welches hier für einmal nicht dazu dient, der Gewalt einen ästhetischen Anschein zu verleihen, sondern diese zu entzaubern. Jeder Mord rückt dank dieses Auswalzens des Todesmoments für ein paar Sekunden ins Zentrum des Geschehens und erhält so zusätzliche Schwere. Der Zuschauer wird hautnah mit den Geschlachteten konfrontiert und so gezwungen, dem Rachefeldzug des Protagonisten in seiner ganzen widerwärtigen Grausamkeit zu folgen.
Denn Gengobes Rache ist verdammt. Kein glorreicher Feldzug der Vergeltung, sondern ein konsequenter Abfall in die Entmenschlichung, durchzogen von ironischen Wendungen und fatalen Entscheidungen, die den Protagonisten letztlich in seinen eigenen Untergang führen.
Passenderweise listet Matsuomoto mit Zwischentiteln immer nur die unschuldigen Opfer von Gengobe auf. Jene, die nicht an dem feigen Verrat an ihm beteiligt waren, aber in seiner Vendetta trotzdem ihr Ende fanden. Und selbst den fiesen Verrätern gibt Matsumoto im weiteren Handlungsverlauf noch etwas Sympathie, so dass der Rachefeldzug einen bitteren Nachgeschmack erhält.
Letztlich dient diese Brutalität der Gewalt und die alles umgebende Finsternis aber nicht nur dazu dem Film seinen düsteren Nihilismus zu verleihen, sondern spiegelt auch das subjektive Seelenleben unseres zerrütteten Protagonisten wieder. Die nicht-lineare Narration voller Brüche scheint diese These zu bestätigen. Oft zeigt Matsumoto die Szene als subjektiven Eindruck des Rächenden, nur um dann die gleiche Szene noch einmal zu wiederholen und ihren wahren Verlauf zu zeigen.
So zeigt sich Gengobe etwa zuerst voller Wut und Stolz, als er den Anwesenden bei Komans Zwangsheirat gegenübertritt, und wirft ihnen das Geld trotzig vor die Füße, dann spielt Matsumoto die Szene erneut ab, diesmal ist Gengobe zögerlich und verschüchtert und wird mit einer Mischung aus emotionaler Erpressung und Drohungen um sein Geld genötigt.
Die Darsteller geben sich dabei völlig einem theatralischen, mitunter hysterischen Stil hin, der, ebenso wie die bühnenartigen und minimalistischen Sets, dem Theater entliehen zu sein scheint. Vornehmlich mit Laiendarstellern besetzt, überrascht dabei die Präsenz von Katsuo Nakamura in der Hauptrolle.
Der Bruder von Superstar Kinnosuke Nakamura lässt seine Wurzeln in den leichtfüßigen Toei-Jidai-geki der 1950er Jahre kaum mehr erkennen und zeigt in seiner vielleicht denkwürdigsten Performance eine intensive Leistung, die auf psychopathische Weise stets zwischen Melancholie und Wahnsinn pendelt.
"Shura" ist Toshio Matsumots großes Meisterwerk. Ein stilistisch einzigartiger Film, dessen eigentlich generische Rachegeschichte in einem konsequent vollzogenen Mikrokosmos der Finsternis und Grausamkeit in Narration und visuellem Stil aufgeht. Ein Film, der sich langsam entfaltet, aber dessen Handlung den Zuschauer dann mit der Wucht einer Dampfwalze trifft.
Fazit:
"Shura" ist ein überaus düsterer Jidai-geki mit nihilistischer Grundstimmung, der visuell durch seine Ikonographie der Finsternis und seine unzimperliche Gewaltdarstellung begeistert und generischen Handlungsmotiven durch seinen konsequent durchgezogenen Stilwillen eine ungewohnte emotionale Intensität einverleibt.
9 von 10 Punkten = Meisterwerk!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 14. 12. 2014
Geschrieben von Pablo Knote
Während Matsumotos Spielfilmdebüt, "Funeral Parade of Roses" (Bara no Soretsu, 1969), ein vermeintlich dokumentarischer Einblick in die japanische Schwulenszene der 1960er mit überbordender stilistischer Ideenfülle, von aufgeschlossenen Cineasten längst als einflussreiches Juwel des Kunstfilms wiederentdeckt wurde, sind Matsumotos andere Filme heute weitgehend obskur und warten noch immer auf eine professionelle Rezeption im Westen.
Ein großes Versäumnis, denn zumindest sein Zweitling, der vorliegende "Shura", übertrifft den legendären "Funeral Parade of Roses" in mancher Hinsicht. "Shura" setzt die visuelle Opulenz von "Funeral Parade of Roses" fort, besitzt aber zugleich eine größere Inszenierungsstrenge, deren Ikonographie des Blutes und der Finsternis ihn zu einem Erlebnis von erschreckender Intensität machen.
Story:
Der verarmte Ronin Gengobe (Katsuo Nakamura) bereitet sich darauf vor, an der Vendetta der 47 Ronin teilzunehmen. Um seine Schulden abzubezahlen und so seine Ehre als Samurai wiederherzustellen, überbringt ihm sein treuer Vassall Hachiemon (Masao Imafuku) die Summe von 100 Ryo, eine Spende der 47 Ronin. Als Gengobe jedoch erfährt, dass seine Verlobte, die Geisha Koman (Yasuko Sanjo), zur Heirat gezwungen werden soll, entschließt er sich, sie mit dem Geld freizukaufen. Doch das Glück über die Freiheit seiner Liebsten wird jäh zerschlagen, als sich die geplante Zwangsheirat als Finte von Koman und ihrem heimlichen Ehemann, dem Yakuza Sangoro (Juro Kara), erweist, die sich mit Gengobes Geld über alle Berge machen. Schwer getroffen von dem Verrat, begibt sich Gengobe auf einen Rachefeldzug, auf dessen Weg sich schon bald die Leichen der Opfer seines unstillbaren Grolls türmen.
Kritik:
Trotzdem "Shura" vor dem Hintergrund des legendären Angriffs der 47 Ronin auf das Anwesen des grausamen Lords Kira spielt, dient diese berühmte Vendetta nur als ironischer Kontrast zu der persönlichen Rache unseres Helden Gengobe. Während die Geschichte der 47 Ronin bis heute glorifiziert wird, erweist sich Gengobes Rache als grausamer und letztlich sinnloser Akt, der zum Untergang aller Beteiligten führt.
Von der ersten Szene an, wenn unser Held von einer Horde Polizisten verfolgt wird, deren Körper von der Nacht gänzlich verschlungen werden, so dass nur ihre Laternen hell hervorleuchten, wählt Toshio Matsumoto eine abstrakte Bildersprache der Finsternis. Dieses Austaschen einer Grundkomponenten eines Films, dem Licht, mit der Dunkelheit erlaubt Matsumoto eine einmalige Herrschaft über den Aufbau jedes Frames in seinem Film.
Mit präziser Orchestrierung von künstlichem Lichtfall hebt er einige Bildelemente hervor und verhüllt andere in der Schwärze des Hintergrunds. Eingefangen von der Kamera des brillanten New Wave-Kameramanns Tatsuo Suzuki erhalten diese Einstellungen eine bemerkenswerte Schönheit, eine verführerische und streng komponierte Eleganz der Finsternis und des Verderbens, die dem Zuschauer auch in tiefster Schwärze erlaubt, die Pracht der Mise-en-scene zu bestaunen.
Tiefschwarz ist auch das Blut, welches die Opfer von Gengobe vergießen. Wenige Jidai-geki davor oder danach inszenierten die Gewalt graphisch derart überspitzt, aber doch gleichzeitig so grausam und ungeschönt. Körperteile werden mit Schwertern abgehackt, Menschen blutig durchstoßen und am Ende fällt selbst ein Baby dem Gemetzel zum Opfer – all dies von einer Zeitlupe stets unerbittlich in die Länge gezogen.
Ein Stilmittel, welches hier für einmal nicht dazu dient, der Gewalt einen ästhetischen Anschein zu verleihen, sondern diese zu entzaubern. Jeder Mord rückt dank dieses Auswalzens des Todesmoments für ein paar Sekunden ins Zentrum des Geschehens und erhält so zusätzliche Schwere. Der Zuschauer wird hautnah mit den Geschlachteten konfrontiert und so gezwungen, dem Rachefeldzug des Protagonisten in seiner ganzen widerwärtigen Grausamkeit zu folgen.
Denn Gengobes Rache ist verdammt. Kein glorreicher Feldzug der Vergeltung, sondern ein konsequenter Abfall in die Entmenschlichung, durchzogen von ironischen Wendungen und fatalen Entscheidungen, die den Protagonisten letztlich in seinen eigenen Untergang führen.
Passenderweise listet Matsuomoto mit Zwischentiteln immer nur die unschuldigen Opfer von Gengobe auf. Jene, die nicht an dem feigen Verrat an ihm beteiligt waren, aber in seiner Vendetta trotzdem ihr Ende fanden. Und selbst den fiesen Verrätern gibt Matsumoto im weiteren Handlungsverlauf noch etwas Sympathie, so dass der Rachefeldzug einen bitteren Nachgeschmack erhält.
Letztlich dient diese Brutalität der Gewalt und die alles umgebende Finsternis aber nicht nur dazu dem Film seinen düsteren Nihilismus zu verleihen, sondern spiegelt auch das subjektive Seelenleben unseres zerrütteten Protagonisten wieder. Die nicht-lineare Narration voller Brüche scheint diese These zu bestätigen. Oft zeigt Matsumoto die Szene als subjektiven Eindruck des Rächenden, nur um dann die gleiche Szene noch einmal zu wiederholen und ihren wahren Verlauf zu zeigen.
So zeigt sich Gengobe etwa zuerst voller Wut und Stolz, als er den Anwesenden bei Komans Zwangsheirat gegenübertritt, und wirft ihnen das Geld trotzig vor die Füße, dann spielt Matsumoto die Szene erneut ab, diesmal ist Gengobe zögerlich und verschüchtert und wird mit einer Mischung aus emotionaler Erpressung und Drohungen um sein Geld genötigt.
Die Darsteller geben sich dabei völlig einem theatralischen, mitunter hysterischen Stil hin, der, ebenso wie die bühnenartigen und minimalistischen Sets, dem Theater entliehen zu sein scheint. Vornehmlich mit Laiendarstellern besetzt, überrascht dabei die Präsenz von Katsuo Nakamura in der Hauptrolle.
Der Bruder von Superstar Kinnosuke Nakamura lässt seine Wurzeln in den leichtfüßigen Toei-Jidai-geki der 1950er Jahre kaum mehr erkennen und zeigt in seiner vielleicht denkwürdigsten Performance eine intensive Leistung, die auf psychopathische Weise stets zwischen Melancholie und Wahnsinn pendelt.
"Shura" ist Toshio Matsumots großes Meisterwerk. Ein stilistisch einzigartiger Film, dessen eigentlich generische Rachegeschichte in einem konsequent vollzogenen Mikrokosmos der Finsternis und Grausamkeit in Narration und visuellem Stil aufgeht. Ein Film, der sich langsam entfaltet, aber dessen Handlung den Zuschauer dann mit der Wucht einer Dampfwalze trifft.
Fazit:
"Shura" ist ein überaus düsterer Jidai-geki mit nihilistischer Grundstimmung, der visuell durch seine Ikonographie der Finsternis und seine unzimperliche Gewaltdarstellung begeistert und generischen Handlungsmotiven durch seinen konsequent durchgezogenen Stilwillen eine ungewohnte emotionale Intensität einverleibt.
9 von 10 Punkten = Meisterwerk!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 14. 12. 2014
Geschrieben von Pablo Knote
Screenshots (spiegeln die Qualität der DVD wieder):
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