The Man Without a Map (1968)
Ein Film von Hiroshi Teshigahara
Bewertung: 7.5 von 10 Punkten = Sehr sehenswert!
Moetsukita chizu
Genre: Nuberu Bagu
Regie: Hiroshi Teshigahara
Darsteller: Shintaro Katsu (Detektiv), Etsuko Ichihara (Frau), Osamu Okawa (Bruder der Frau), Kiyoshi Atsumi (Tashiro), Tamao Nakamura (Frau des Detektivs), Kinzo Shin (Kaffeehaus-Besitzer), Reiko Kasahara, Hosei Komatsu, Akiko Kudo, Aiko Nagayama, Shojiro Ogasawara, Kyoichi Sato, Haruo Tanaka, Sakae Umezu, Hideko Yoshida
Drehbuch: Kobo Abe
Kamera: Akira Uehara
Musik: Toru Takemitsu
Katsu Production, 118 Minuten, Color
Dies ist die überarbeitete Fassung einer Kritik, die zuerst bei Zelluloid.de erschien.
Moetsukita chizu
Genre: Nuberu Bagu
Regie: Hiroshi Teshigahara
Darsteller: Shintaro Katsu (Detektiv), Etsuko Ichihara (Frau), Osamu Okawa (Bruder der Frau), Kiyoshi Atsumi (Tashiro), Tamao Nakamura (Frau des Detektivs), Kinzo Shin (Kaffeehaus-Besitzer), Reiko Kasahara, Hosei Komatsu, Akiko Kudo, Aiko Nagayama, Shojiro Ogasawara, Kyoichi Sato, Haruo Tanaka, Sakae Umezu, Hideko Yoshida
Drehbuch: Kobo Abe
Kamera: Akira Uehara
Musik: Toru Takemitsu
Katsu Production, 118 Minuten, Color
Dies ist die überarbeitete Fassung einer Kritik, die zuerst bei Zelluloid.de erschien.
"The Man Without a Map" markiert die vierte und
letzte Zusammenarbeit des experimentellen Regisseurs Hiroshi Teshigahara mit
dem Autoren Kobo Abe und dem avantgardistischen New-Wave-Komponisten Toru
Takemitsu.
Eine sehr produktive Zusammenarbeit, die uns drei der faszinierendsten New-Wave-Werke bescherte, deren Höhepunkt wohl der meisterliche "Woman of the Dunes" darstellt. Doch im Gegensatz zu den vorherigen drei Werken, bleibt "The Ruined Map" (so der Alternativtitel) weiterhin recht unbekannt und ist bis heute nur über Umwege mit englischen Untertiteln erhältlich.
Dabei birgt die Prämisse des Films, zumindest auf dem Papier, doch einiges an Potential. Besonders interessant ist die Besetzung des Hauptdarstellers mit Japan-Superstar Shintaro Katsu ("Zatoichi", "Hanzo The Razor"), der hier eine seiner wenigen Rollen in einem zeitgenössischen Film spielt.
Katsu erinnerte sich später an den ambitionierten Avantgarde-Regisseur Teshigahara und ließ ihn im Jahre 1979 das große Finale seiner hundertteiligen Zatoichi-Fernsehserie inszenieren. Eine feine Geste als Signal für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Beiden in einem faszinierenden Film, der jedoch seine Probleme hat.
Story:
Ein Privatdetektiv (Shintaro Katsu) wird von einer geheimnisvollen Frau angeheuert, ihren verschwundenen Mann, einen Salaryman namens Hiro Nemuro, zu finden. Doch was auf den ersten Blick wie ein alltäglicher Fall aussieht, wächst mit der Zeit zu einem scheinbar unüberschaubaren Netz an Geheimnissen heran. Jeder Hinweis, welchen der Detektiv von den vermeintlichen Bekannten des Mannes, etwa dem Erpresser-Bruder (Osamu Okawa) der Ehefrau oder einem vermeintlichen Arbeitskollegen namens Tashiro (Kiyoshi Atsumi) erhält, wirft nur noch mehr Fragen auf, die den Detektiv in eine handfeste Krise hineinstürzen. Bald schon befindet er sich in einem rauschartigen Zustand aus Unsicherheiten und Fragen, die ihn langsam an seiner eigenen Identität zweifeln lassen.
Kritik:
"The Man without a Map" beginnt mit einem psychedelischen Intro voller abstrakter und quietsch bunter Titelkarten, welche, von Toru Takemitsus stilvollem Klassik-Soundtrack begleitet, über den Bildschirm flimmern. Doch wer nach diesem furiosen Intro ein weiteres visuell überbordendes Meisterstück im Stile der früheren Abe-Teshigahara-Takemitsu-Kollaborationen erwartet, wird zwangsläufig enttäuscht werden.
Denn während Toru Takemitsus Soundtrack wieder mit subtilen, eruptiven und in der Folge enorm beunruhigenden Klängen für eine dichte akustische Atmosphäre sorgt und Kobo Abes Drehbuch vor Metaphern und Symbolik geradezu überquillt, hält sich Teshigahara in der visuellen und erzählerischen Komponente deutlich zurück.
Das Tempo des Films ist gediegen und etwas langatmig, die Bilder sind deutlich mehr europäischen Vorbildern nachempfunden und lassen Teshigaharas einzigartige Bildersprache vermissen. Sie ist durchaus noch vorhanden, aber die absolute Meisterleistung im visuellen Bereich fehlt.
Freilich ist diese Kritik meckern auf hohem Niveau, denn noch immer kann man Teshigaharas einzigartigen Stil in jeder Einstellung ausmachen. Seine Bilder unterstützen den verwirrenden und erzählerisch gebrochenen Stil der Geschichte perfekt, indem sie immer einengend und sperrig wirken.
Jede Bildeinstellung scheint dem Zuschauer wichtige geographische Details zu verweigern, so dass selbst weiträumige Totalen immer eigenartig klaustrophobisch und geheimnisvoll wirken. Manchmal erweckt dies allerdings auch einen wirren Eindruck, etwa wenn während eines wilden Handgemenges auf einer Baustelle die Kamera so fahrig geführt wird, dass der Zuschauer überhaupt nichts mitbekommen kann.
Meistens übt diese Art der Kameraführung aber einen eigentümlichen Sog aus. Diese Bildersprache dient zur Verdeutlichung der zunehmenden Verwirrung und Hilflosigkeit des Protagonisten, dessen Charakter immer sehr wage und undefiniert bleibt (er erhält nicht einmal einen Namen), so dass er wie eine anonyme Figur auf dem erzählerischen Schachbrett von Teshigahara wirkt.
Diese Herangehensweise mag den emotionalen Zugang erschweren, doch sie hat durchaus ihren Sinn. Denn das Thema des Films ist einmal mehr die eigene Identität und der Verlust derselben. Ein allzu bunter und lebendiger Charakter der Hauptperson hätte nur den Fluss der Story gestört, denn mit deren zunehmendem Verlauf scheint die Identität des Detektivs immer mehr des gesuchten Salaryman zu entsprechen.
Da wir von Anfang an nichts über ihn wissen und er keinerlei Hintergrundgeschichte zu haben scheint, geschieht dieser Übergang fließend, denn die einzigen Informationen, die wir überhaupt über irgendeinen Charakter erhalten, sind die Aussagen, welche die verschiedenen Bekannten des Gesuchten über den Salaryman machen.
Wir erfahren, dass der Bruder seiner Ehefrau offenbar kriminellen Machenschaften nachgeht und Tashiro, ein Arbeitskollege des Mannes, erzählt, dass er heimlich pornographische Bilder anfertigte. Doch auch diese Informationen erweisen sich als überaus wackelig, etwa wenn Tashiro (gespielt von Tora-san-Ikone Kiyoshi Atsumi) von dem Detektiv als chronischer Lügner enttarnt wird.
Ohne, dass wir jemals irgendeine sichere Information über jenen geheimnisvollen Salariman erhalten, verliert der Detektiv Stück für Stück seine eigene Identität. Damit scheinen Teshiagahara und Abe aufzeigen zu wollen, wie sehr unsere eigene Identität doch von unserem Umfeld bestimmt wird, so dass sie eher wie ein Spiegelbild der Gesellschaft erscheint und wie brüchig dieses ganze Gerüst der eigenen Persönlichkeit letztlich doch ist.
Besonders eindrücklich dargestellt wird dies in der letzten Szene. Ein überfahrener, zerquetschter Hund klebt platt am Straßenrand. Der verwirrte und verlorene Detektiv sieht ihn und spricht den anonymen Kadaver wie in Trance an. Er sagt ihm, dass er es bedauert nie seinen Namen gehört zu haben und das er sicher bald einen guten Namen für ihn finden wird, einen, den er nicht mehr vergisst.
Anschließend taucht er wieder in der grauen Masse unter. Eine Metapher für den Detektiv selbst, der schlussendlich kaum mehr als ein anonymer Kadaver zu sein scheint, seines identitätsstiftenden Umfeldes entrissen wurde und nun verzweifelt versucht, dem Verlust des eigenen Selbst entgegen zu wirken. Ein existenzialistisches und tief bewegendes finales Statement der Zusammenarbeit dreier großer Künstler. Eine Metapher, die noch einmal die gesamte Themenvielfalt und Intentionen ihrer Zusammenarbeit kraftvoll zusammenfasst.
Das Tempo von "Man without a Map" mag über weite Strecken etwas träge, und der Film in seiner Gesamtheit sicher nicht Hiroshi Teshigaharas bester Film sein, doch er ist einmal mehr eine kraftvolle Meditation über die Essenz des eigenen Wesens und als solche sicher "sehr sehenswert".
Fazit:
"The Man Without a Map" ist ein an machen Stellen träger Film mit gedrosseltem Tempo und zurückhaltender visueller Komponente, der jedoch durch seine guten Schauspieler, dichte Atmosphäre und seine vielseitig interpretierbare Thematik um den Verlust der eigenen Identität besticht. Eine gelungene, wenn auch nicht perfekte letzte Zusammenarbeit dreier Visionäre.
7.5 von 10 Punkten = Sehr sehenswert!
Erstveröffentlichung auf "zelluloid.de" am 24. 09. 2012
Zweitveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 24. 11. 2012
Geschrieben von Pablo Knote
Eine sehr produktive Zusammenarbeit, die uns drei der faszinierendsten New-Wave-Werke bescherte, deren Höhepunkt wohl der meisterliche "Woman of the Dunes" darstellt. Doch im Gegensatz zu den vorherigen drei Werken, bleibt "The Ruined Map" (so der Alternativtitel) weiterhin recht unbekannt und ist bis heute nur über Umwege mit englischen Untertiteln erhältlich.
Dabei birgt die Prämisse des Films, zumindest auf dem Papier, doch einiges an Potential. Besonders interessant ist die Besetzung des Hauptdarstellers mit Japan-Superstar Shintaro Katsu ("Zatoichi", "Hanzo The Razor"), der hier eine seiner wenigen Rollen in einem zeitgenössischen Film spielt.
Katsu erinnerte sich später an den ambitionierten Avantgarde-Regisseur Teshigahara und ließ ihn im Jahre 1979 das große Finale seiner hundertteiligen Zatoichi-Fernsehserie inszenieren. Eine feine Geste als Signal für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Beiden in einem faszinierenden Film, der jedoch seine Probleme hat.
Story:
Ein Privatdetektiv (Shintaro Katsu) wird von einer geheimnisvollen Frau angeheuert, ihren verschwundenen Mann, einen Salaryman namens Hiro Nemuro, zu finden. Doch was auf den ersten Blick wie ein alltäglicher Fall aussieht, wächst mit der Zeit zu einem scheinbar unüberschaubaren Netz an Geheimnissen heran. Jeder Hinweis, welchen der Detektiv von den vermeintlichen Bekannten des Mannes, etwa dem Erpresser-Bruder (Osamu Okawa) der Ehefrau oder einem vermeintlichen Arbeitskollegen namens Tashiro (Kiyoshi Atsumi) erhält, wirft nur noch mehr Fragen auf, die den Detektiv in eine handfeste Krise hineinstürzen. Bald schon befindet er sich in einem rauschartigen Zustand aus Unsicherheiten und Fragen, die ihn langsam an seiner eigenen Identität zweifeln lassen.
Kritik:
"The Man without a Map" beginnt mit einem psychedelischen Intro voller abstrakter und quietsch bunter Titelkarten, welche, von Toru Takemitsus stilvollem Klassik-Soundtrack begleitet, über den Bildschirm flimmern. Doch wer nach diesem furiosen Intro ein weiteres visuell überbordendes Meisterstück im Stile der früheren Abe-Teshigahara-Takemitsu-Kollaborationen erwartet, wird zwangsläufig enttäuscht werden.
Denn während Toru Takemitsus Soundtrack wieder mit subtilen, eruptiven und in der Folge enorm beunruhigenden Klängen für eine dichte akustische Atmosphäre sorgt und Kobo Abes Drehbuch vor Metaphern und Symbolik geradezu überquillt, hält sich Teshigahara in der visuellen und erzählerischen Komponente deutlich zurück.
Das Tempo des Films ist gediegen und etwas langatmig, die Bilder sind deutlich mehr europäischen Vorbildern nachempfunden und lassen Teshigaharas einzigartige Bildersprache vermissen. Sie ist durchaus noch vorhanden, aber die absolute Meisterleistung im visuellen Bereich fehlt.
Freilich ist diese Kritik meckern auf hohem Niveau, denn noch immer kann man Teshigaharas einzigartigen Stil in jeder Einstellung ausmachen. Seine Bilder unterstützen den verwirrenden und erzählerisch gebrochenen Stil der Geschichte perfekt, indem sie immer einengend und sperrig wirken.
Jede Bildeinstellung scheint dem Zuschauer wichtige geographische Details zu verweigern, so dass selbst weiträumige Totalen immer eigenartig klaustrophobisch und geheimnisvoll wirken. Manchmal erweckt dies allerdings auch einen wirren Eindruck, etwa wenn während eines wilden Handgemenges auf einer Baustelle die Kamera so fahrig geführt wird, dass der Zuschauer überhaupt nichts mitbekommen kann.
Meistens übt diese Art der Kameraführung aber einen eigentümlichen Sog aus. Diese Bildersprache dient zur Verdeutlichung der zunehmenden Verwirrung und Hilflosigkeit des Protagonisten, dessen Charakter immer sehr wage und undefiniert bleibt (er erhält nicht einmal einen Namen), so dass er wie eine anonyme Figur auf dem erzählerischen Schachbrett von Teshigahara wirkt.
Diese Herangehensweise mag den emotionalen Zugang erschweren, doch sie hat durchaus ihren Sinn. Denn das Thema des Films ist einmal mehr die eigene Identität und der Verlust derselben. Ein allzu bunter und lebendiger Charakter der Hauptperson hätte nur den Fluss der Story gestört, denn mit deren zunehmendem Verlauf scheint die Identität des Detektivs immer mehr des gesuchten Salaryman zu entsprechen.
Da wir von Anfang an nichts über ihn wissen und er keinerlei Hintergrundgeschichte zu haben scheint, geschieht dieser Übergang fließend, denn die einzigen Informationen, die wir überhaupt über irgendeinen Charakter erhalten, sind die Aussagen, welche die verschiedenen Bekannten des Gesuchten über den Salaryman machen.
Wir erfahren, dass der Bruder seiner Ehefrau offenbar kriminellen Machenschaften nachgeht und Tashiro, ein Arbeitskollege des Mannes, erzählt, dass er heimlich pornographische Bilder anfertigte. Doch auch diese Informationen erweisen sich als überaus wackelig, etwa wenn Tashiro (gespielt von Tora-san-Ikone Kiyoshi Atsumi) von dem Detektiv als chronischer Lügner enttarnt wird.
Ohne, dass wir jemals irgendeine sichere Information über jenen geheimnisvollen Salariman erhalten, verliert der Detektiv Stück für Stück seine eigene Identität. Damit scheinen Teshiagahara und Abe aufzeigen zu wollen, wie sehr unsere eigene Identität doch von unserem Umfeld bestimmt wird, so dass sie eher wie ein Spiegelbild der Gesellschaft erscheint und wie brüchig dieses ganze Gerüst der eigenen Persönlichkeit letztlich doch ist.
Besonders eindrücklich dargestellt wird dies in der letzten Szene. Ein überfahrener, zerquetschter Hund klebt platt am Straßenrand. Der verwirrte und verlorene Detektiv sieht ihn und spricht den anonymen Kadaver wie in Trance an. Er sagt ihm, dass er es bedauert nie seinen Namen gehört zu haben und das er sicher bald einen guten Namen für ihn finden wird, einen, den er nicht mehr vergisst.
Anschließend taucht er wieder in der grauen Masse unter. Eine Metapher für den Detektiv selbst, der schlussendlich kaum mehr als ein anonymer Kadaver zu sein scheint, seines identitätsstiftenden Umfeldes entrissen wurde und nun verzweifelt versucht, dem Verlust des eigenen Selbst entgegen zu wirken. Ein existenzialistisches und tief bewegendes finales Statement der Zusammenarbeit dreier großer Künstler. Eine Metapher, die noch einmal die gesamte Themenvielfalt und Intentionen ihrer Zusammenarbeit kraftvoll zusammenfasst.
Das Tempo von "Man without a Map" mag über weite Strecken etwas träge, und der Film in seiner Gesamtheit sicher nicht Hiroshi Teshigaharas bester Film sein, doch er ist einmal mehr eine kraftvolle Meditation über die Essenz des eigenen Wesens und als solche sicher "sehr sehenswert".
Fazit:
"The Man Without a Map" ist ein an machen Stellen träger Film mit gedrosseltem Tempo und zurückhaltender visueller Komponente, der jedoch durch seine guten Schauspieler, dichte Atmosphäre und seine vielseitig interpretierbare Thematik um den Verlust der eigenen Identität besticht. Eine gelungene, wenn auch nicht perfekte letzte Zusammenarbeit dreier Visionäre.
7.5 von 10 Punkten = Sehr sehenswert!
Erstveröffentlichung auf "zelluloid.de" am 24. 09. 2012
Zweitveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 24. 11. 2012
Geschrieben von Pablo Knote
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