Vengeance is Mine (1979)
Ein Film von Shohei Imamura

Bewertung: 9 von 10 Punkten = Meisterwerk!
Fukushu suru wa ware ni ari
Genre: Gendai-geki, Kriminalfilm, Serienkiller-Thriller
Regie: Shohei Imamura
Darsteller: Ken Ogata (Iwao Enokizu), Rentaro Mikuni (Shizuo Enokizu),
Mitsuko Baisho (Kazuko Enokizu), Chocho Miyako (Kayo Enokizu), Goro Taro (Daihachi Baba), Mayumi Ogawa (Haru Asano), Nijiko Kiyokawa (Hisano Asano), Taiji Tonoyama (Tanejiro Shibata) Gesamten Cast anzeigen...
Drehbuch: Masaru Baba (Buch: Ryuzo Saki)
Kamera: Shinsaku Himeda
Musik: Shinichiro Ikebe
Imamura Productions, Shochiku, 140 Minuten, Color
Fukushu suru wa ware ni ari
Genre: Gendai-geki, Kriminalfilm, Serienkiller-Thriller
Regie: Shohei Imamura
Darsteller: Ken Ogata (Iwao Enokizu), Rentaro Mikuni (Shizuo Enokizu),
Mitsuko Baisho (Kazuko Enokizu), Chocho Miyako (Kayo Enokizu), Goro Taro (Daihachi Baba), Mayumi Ogawa (Haru Asano), Nijiko Kiyokawa (Hisano Asano), Taiji Tonoyama (Tanejiro Shibata) Gesamten Cast anzeigen...
Drehbuch: Masaru Baba (Buch: Ryuzo Saki)
Kamera: Shinsaku Himeda
Musik: Shinichiro Ikebe
Imamura Productions, Shochiku, 140 Minuten, Color
Inmitten des Niedergangs des
japanischen Studiosystems im Verlauf der 1960er fand auch der
exzentrische Nikkatsu-Regisseurs Shohei Imamura immer weniger
Gelegenheit, seine eigenwilligen Projekte für Spielfilme zu
realisieren. Imamura wandte sich schließlich dem Dokumentarfilm zu,
wo der "Anthropologe des japanischen Film" sein Interesse
am Menschen mehr als ein Jahrzehnt lang an realen Fällen ausleben
konnte.
"Vengeance is Mine" war Imamuras gefeierte Rückkehr zum Spielfilm und doch nur der Auftakt zu einer beispiellosen Spätkarriere, die ihm zwei Mal die Golde Palme der Filmfestspiele von Cannes einbringen sollte. Bei seinem Erscheinen wurde "Vengeance is Mine" förmlich mit Kritikerlob überschüttet und gewann nicht weniger als 21 Preise auf japanischen Filmfestivals.
Ein mehr als verdienter Erfolg, denn "Vengeance is Mine" zeigt, dass Shohei Imamura sein Talent für das Analysieren der Nachkriegs-Gesellschaft keineswegs verloren hatte. Im Gegenteil, denn der eiskalte Serienkiller-Film erweist sich wahrhaft als Geburt des Phoenix aus der Asche und kündigt einen neuen Imamura an, der seinen Themen treu geblieben ist, aber diese mit nie dagewesenem Geschick und forschem analytischem Verstand auf Zelluloid bannte.
Story:
Iwao (Ken Ogata) wächst als Kind katholischer Eltern während der Kriegsjahre in Japan auf. Schon früh bereitet er seinem frommen Vater (Rentaro Mikuni) mit seinem verbrecherischen Benehmen viel Ärger und muss schließlich für mehrere Jahre ins Gefängnis. Nach seiner Freilassung ist er jedoch keineswegs geläutert. Während sein Vater heimlich mit Iwaos Ehefrau (Mitsuko Baisho) anbandelt, erschlägt Iwao eines Tages urplötzlich seine Arbeitskollegen. Auf seiner Flucht vor der Polizei, hinterlässt Iwao eine Spur von Leichen, die quer durch ganz Japan führt...
Kritik:
Trotz des brisanten Themas ist es nicht leicht, bei "Vengeance is Mine" Emotionen aufzubauen. Die Handlung entfaltet sich nüchtern und langsam über die stattliche Laufzeit von 140 Minuten in nicht chronologischer Abfolge, so dass der Zuschauer niemals wirklich zu den Charakteren und der Handlung durchdringen kann. Die Folge ist, dass man das Geschehen immer aus der Distanz als passiver Beobachter betrachtet.
Dies mag wie ein Veriss klingen, doch im Kontext des vorliegenden Films erscheint diese distanzierte Emotionslage erstaunlicherweise angebracht. Schließlich spiegelt die Passivität des Zuschauers letztendlich nur Shohei Imamuras eigene, anthropologische Sichtweise auf das Geschehen wieder.
Er inszeniert das Treiben seines Serienkiller-Protagonisten mit der Banalität des Alltäglichen. Sein Protagonist Iwao isst, schläft und hat Sex wie jeder andere Mensch auch – und hin und wieder tötet er eben. Zwei seiner Morde blendet Imamura sogar gezielt aus, so dass der Zuschauer nicht mit der Emotionalität des Tathergangs, sondern nur mit ihrer Konsequenzen konfrontiert wird.
Dieses lose Slice-of-Life-Gefühl des Films wird durch Imamuras gebrochene Erzählweise voller Zeitsprünge verstärkt und gewinnt Signifikanz durch seine Weigerung, über seinen Protagonisten zu werten oder dessen Taten gar psychologisch zu ergründen. Selbst die Rückblenden, die wichtige Einschnitte in Iwaos Leben zeigen, scheinen hier weniger der Erforschung Iwaos als der Analyse der kaputten Gesellschaft um unseren Antihelden herum zu dienen.
Insofern mag eine Szene, in der Iwao als Kind miterleben muss, wie sein katholischer Vater von einem Mitglied der faschistischen Militärpolizei für seine Weigerung seine Boote an die Regierung zu vermachen, verprügelt wird, vielleicht ein einschneidendes Erlebnis für den Jungen gewesen sein, wirkt aber nie gravierend genug, um als Auslöser für einen Serienmord herhalten zu können.
Vielmehr dient eine solche Szene dazu, die geheuchelte Heiligkeit des katholischen Vaters, packend gespielt vom immer genialen Rentaro Mikuni, zu demaskieren. Erscheint er anfangs noch als fromm und aufrichtig, sieht man schon wenig später wie er einen Hund mit kochendem Wasser übergießt und heimlich mit Iwaos Ehefrau anbandelt, während seine eigene Frau langsam an einer Krankheit zu Grunde geht.
Doch Iwaos Vater ist nur einer der unzähligen Heuchler in dem nihilistischen und düsteren Portrait, welches Imamura von der japanischen Gesellschaft zeichnet. Jeder Charakter in "Vengeance of Mine" verbirgt etwas und versteckt es hinter dem gutbürgerlichen Mantel der Gesellschaft. Iwao auf der anderen Seite durchbricht diese Fassade, geht einen Schritt weiter und tötet Menschen. Er ist zum Erzfeind dieser Gesellschaft geworden, erscheint aber in Wahrheit nur wie ein natürliches Produkt ihrer eigenen Kälte.
In seiner Mise en scène wählt Imamura den freimütigen Stil des Cinéma vérité. Meist folgt die Handkamera von Imamura-Stammkameramann Shinsaku Himeda den Charakteren aus der Distanz in den dicht bevölkerten Städten Japans und spielt auf effektive Weise mit den Spiegelungen natürlichen Lichtfalls. Gelegentlich setzt Imamura auch einige surreale Elemente ein, etwa in Form von unzähligen, ineinander verschlungenen Aalen in einem Becken am Strand, die Imamura die Gelegenheit dazu geben, auch in der Großstadt seine geliebten Aufnahmen der Tierwelt einzufügen.
Eine Erwähnung muss auch Imamuras ironisches Spiel mit dem traditionellen Jahreszeiten-Symbolismus des japanischen Films finden. Im Frühling, wenn die Pfirsichbäume ihre Früchte tragen und die Wiesen grün und saftig wirken, startet Iwao seinen Mordfeldzug, in der klirrenden Kälte des Winters voller abgestorbener Bäume und Schneefall endet dieser dann.
Ken Ogata, der wohl berühmteste Charakterdarsteller der 1970er und -80er Jahre, spielt seinen Serienkiller dabei geradezu erschreckend glaubhaft. Sein Iwao ist das perfekte Abbild eines charismatischen Killers, der die Leute mit seinem Charme um den Finger wickelt. Urplötzlich geschehen dann seine Gewaltausbrüche, die so schnell sie kommen, auch wieder vorbei sind. Nach verrichtetem Werk schlüpft Iwao sofort wieder in die Rolle des sozialen und intellektuellen Professors einer prestigeträchtigen Universität in Japan.
Doch erst gegen Ende, wenn Vater und Sohn sich in der Todeszelle Iwaos gegenüber stehen, spürt man so etwas wie emotionale Involvierung. Überraschend glänzt Imamura hier auch mit einigen schwarzhumorigen Dialogzeilen. Das "Ich werde dir niemals verzeihen" des Vaters kontert Iwao mit einem kecken "Wer hat dich denn danach gefragt?". Kurz danach bringt der Vater dann Iwaos widersprüchliche Existenz auf den Punkt, "Du tötest nur Menschen, die dir nichts angetan haben", und spuckt ihm ins Gesicht.
Doch mit Iwaos Tod ist der Schrecken für seine Familie nicht beendet. In einer surrealen Schlusszene macht Imamura mit Hilfe einiger Freeze Frames klar, dass dessen Verbliebene nicht mit seinen Taten abschließen können. Seine Knochen bleiben in der Luft hängen. Iwao war das Symptom einer kalten Gesellschaft, jetzt ist er zum Geist der selben Gesellschaft geworden, der diejenigen weiter verfolgen wird, die so vergeblich versucht haben, ihn zu verdrängen.
Durch diesen Fokus auf die Gesellschaft verliert die Figur letztlich auch die Faszination des Bösen, wie es dem Serienkiller in vergleichbaren Hollywoodfilm stets anhaftet. Als Vertreter des Serienkiller-Genres ist der Film damit weit entfernt von der Glorifizierung seines Protagonisten und gerade deshalb das einzige vollkommen realistische Werk seiner Gattung.
In anderen Filmen würde etwa die problembeladene Vater-Sohn-Geschichte als pseudo-psychologischer Grund für den Werdegang des Mörders missbraucht werden, in "Vengeance is Mine" bleibt dessen schmutziges Machwerk hingegen bis zum Ende ungeklärt. Seine Gewalt verübt Iwao ohne Kontext und so schnell, dass der Zuschauer keine Gelegenheit bekommt, Empathie für das Opfer aufzubauen oder Hass für den Täter zu empfinden.
Trotz der emotionalen Distanzierung hat Imamura letztlich doch eine zutiefst verstörenden und meisterlichen Film gedreht. Ein kaltes Portrait einer Gesellschaft, in der jede Form von menschlicher Zuneigung abhanden gekommen ist. In der Sexualität nur mehr dem opportunistischem Lustgewinn dient. In der selbst Gewalt nicht aus einem emotionalen Hintergrund heraus, sondern aufgrund eines natürlichen Triebes verübt zu werden scheint.
"Vengeance is Mine" ist ein überaus anstrengender Film, der jede sensationslüsterne Darstellung eines Serienkillers unterlässt und dem Zuschauer die Identifikationsfiguren verwehrt. Gerade wegen seiner Verweigerung auf das psychologische Ausschlachten seiner Hauptfigur aber wohl einer glaubhaftesten und verstörendsten Vertreter seines Genres. Letztendlich war Imamura eben nicht der humanistische Psychologe, sondern der scharfsinnige Anthropologe des japanischen Films.
Fazit:
"Vengeance is Mine" ist ein emotional distanzierter, meisterlich inszenierter Serienkiller-Film, der jedoch weniger daran interessiert zu sein scheint, die Taten seines Protagonisten zu analysieren, als anhand seines Beispiels ein eiskaltes und zutiefst verstörendes Portrait der japanischen Gesellschaft zu zeichnen.
9 von 10 Punkten = Meisterwerk!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 30. 10. 2014
Geschrieben von Pablo Knote
"Vengeance is Mine" war Imamuras gefeierte Rückkehr zum Spielfilm und doch nur der Auftakt zu einer beispiellosen Spätkarriere, die ihm zwei Mal die Golde Palme der Filmfestspiele von Cannes einbringen sollte. Bei seinem Erscheinen wurde "Vengeance is Mine" förmlich mit Kritikerlob überschüttet und gewann nicht weniger als 21 Preise auf japanischen Filmfestivals.
Ein mehr als verdienter Erfolg, denn "Vengeance is Mine" zeigt, dass Shohei Imamura sein Talent für das Analysieren der Nachkriegs-Gesellschaft keineswegs verloren hatte. Im Gegenteil, denn der eiskalte Serienkiller-Film erweist sich wahrhaft als Geburt des Phoenix aus der Asche und kündigt einen neuen Imamura an, der seinen Themen treu geblieben ist, aber diese mit nie dagewesenem Geschick und forschem analytischem Verstand auf Zelluloid bannte.
Story:
Iwao (Ken Ogata) wächst als Kind katholischer Eltern während der Kriegsjahre in Japan auf. Schon früh bereitet er seinem frommen Vater (Rentaro Mikuni) mit seinem verbrecherischen Benehmen viel Ärger und muss schließlich für mehrere Jahre ins Gefängnis. Nach seiner Freilassung ist er jedoch keineswegs geläutert. Während sein Vater heimlich mit Iwaos Ehefrau (Mitsuko Baisho) anbandelt, erschlägt Iwao eines Tages urplötzlich seine Arbeitskollegen. Auf seiner Flucht vor der Polizei, hinterlässt Iwao eine Spur von Leichen, die quer durch ganz Japan führt...
Kritik:
Trotz des brisanten Themas ist es nicht leicht, bei "Vengeance is Mine" Emotionen aufzubauen. Die Handlung entfaltet sich nüchtern und langsam über die stattliche Laufzeit von 140 Minuten in nicht chronologischer Abfolge, so dass der Zuschauer niemals wirklich zu den Charakteren und der Handlung durchdringen kann. Die Folge ist, dass man das Geschehen immer aus der Distanz als passiver Beobachter betrachtet.
Dies mag wie ein Veriss klingen, doch im Kontext des vorliegenden Films erscheint diese distanzierte Emotionslage erstaunlicherweise angebracht. Schließlich spiegelt die Passivität des Zuschauers letztendlich nur Shohei Imamuras eigene, anthropologische Sichtweise auf das Geschehen wieder.
Er inszeniert das Treiben seines Serienkiller-Protagonisten mit der Banalität des Alltäglichen. Sein Protagonist Iwao isst, schläft und hat Sex wie jeder andere Mensch auch – und hin und wieder tötet er eben. Zwei seiner Morde blendet Imamura sogar gezielt aus, so dass der Zuschauer nicht mit der Emotionalität des Tathergangs, sondern nur mit ihrer Konsequenzen konfrontiert wird.
Dieses lose Slice-of-Life-Gefühl des Films wird durch Imamuras gebrochene Erzählweise voller Zeitsprünge verstärkt und gewinnt Signifikanz durch seine Weigerung, über seinen Protagonisten zu werten oder dessen Taten gar psychologisch zu ergründen. Selbst die Rückblenden, die wichtige Einschnitte in Iwaos Leben zeigen, scheinen hier weniger der Erforschung Iwaos als der Analyse der kaputten Gesellschaft um unseren Antihelden herum zu dienen.
Insofern mag eine Szene, in der Iwao als Kind miterleben muss, wie sein katholischer Vater von einem Mitglied der faschistischen Militärpolizei für seine Weigerung seine Boote an die Regierung zu vermachen, verprügelt wird, vielleicht ein einschneidendes Erlebnis für den Jungen gewesen sein, wirkt aber nie gravierend genug, um als Auslöser für einen Serienmord herhalten zu können.
Vielmehr dient eine solche Szene dazu, die geheuchelte Heiligkeit des katholischen Vaters, packend gespielt vom immer genialen Rentaro Mikuni, zu demaskieren. Erscheint er anfangs noch als fromm und aufrichtig, sieht man schon wenig später wie er einen Hund mit kochendem Wasser übergießt und heimlich mit Iwaos Ehefrau anbandelt, während seine eigene Frau langsam an einer Krankheit zu Grunde geht.
Doch Iwaos Vater ist nur einer der unzähligen Heuchler in dem nihilistischen und düsteren Portrait, welches Imamura von der japanischen Gesellschaft zeichnet. Jeder Charakter in "Vengeance of Mine" verbirgt etwas und versteckt es hinter dem gutbürgerlichen Mantel der Gesellschaft. Iwao auf der anderen Seite durchbricht diese Fassade, geht einen Schritt weiter und tötet Menschen. Er ist zum Erzfeind dieser Gesellschaft geworden, erscheint aber in Wahrheit nur wie ein natürliches Produkt ihrer eigenen Kälte.
In seiner Mise en scène wählt Imamura den freimütigen Stil des Cinéma vérité. Meist folgt die Handkamera von Imamura-Stammkameramann Shinsaku Himeda den Charakteren aus der Distanz in den dicht bevölkerten Städten Japans und spielt auf effektive Weise mit den Spiegelungen natürlichen Lichtfalls. Gelegentlich setzt Imamura auch einige surreale Elemente ein, etwa in Form von unzähligen, ineinander verschlungenen Aalen in einem Becken am Strand, die Imamura die Gelegenheit dazu geben, auch in der Großstadt seine geliebten Aufnahmen der Tierwelt einzufügen.
Eine Erwähnung muss auch Imamuras ironisches Spiel mit dem traditionellen Jahreszeiten-Symbolismus des japanischen Films finden. Im Frühling, wenn die Pfirsichbäume ihre Früchte tragen und die Wiesen grün und saftig wirken, startet Iwao seinen Mordfeldzug, in der klirrenden Kälte des Winters voller abgestorbener Bäume und Schneefall endet dieser dann.
Ken Ogata, der wohl berühmteste Charakterdarsteller der 1970er und -80er Jahre, spielt seinen Serienkiller dabei geradezu erschreckend glaubhaft. Sein Iwao ist das perfekte Abbild eines charismatischen Killers, der die Leute mit seinem Charme um den Finger wickelt. Urplötzlich geschehen dann seine Gewaltausbrüche, die so schnell sie kommen, auch wieder vorbei sind. Nach verrichtetem Werk schlüpft Iwao sofort wieder in die Rolle des sozialen und intellektuellen Professors einer prestigeträchtigen Universität in Japan.
Doch erst gegen Ende, wenn Vater und Sohn sich in der Todeszelle Iwaos gegenüber stehen, spürt man so etwas wie emotionale Involvierung. Überraschend glänzt Imamura hier auch mit einigen schwarzhumorigen Dialogzeilen. Das "Ich werde dir niemals verzeihen" des Vaters kontert Iwao mit einem kecken "Wer hat dich denn danach gefragt?". Kurz danach bringt der Vater dann Iwaos widersprüchliche Existenz auf den Punkt, "Du tötest nur Menschen, die dir nichts angetan haben", und spuckt ihm ins Gesicht.
Doch mit Iwaos Tod ist der Schrecken für seine Familie nicht beendet. In einer surrealen Schlusszene macht Imamura mit Hilfe einiger Freeze Frames klar, dass dessen Verbliebene nicht mit seinen Taten abschließen können. Seine Knochen bleiben in der Luft hängen. Iwao war das Symptom einer kalten Gesellschaft, jetzt ist er zum Geist der selben Gesellschaft geworden, der diejenigen weiter verfolgen wird, die so vergeblich versucht haben, ihn zu verdrängen.
Durch diesen Fokus auf die Gesellschaft verliert die Figur letztlich auch die Faszination des Bösen, wie es dem Serienkiller in vergleichbaren Hollywoodfilm stets anhaftet. Als Vertreter des Serienkiller-Genres ist der Film damit weit entfernt von der Glorifizierung seines Protagonisten und gerade deshalb das einzige vollkommen realistische Werk seiner Gattung.
In anderen Filmen würde etwa die problembeladene Vater-Sohn-Geschichte als pseudo-psychologischer Grund für den Werdegang des Mörders missbraucht werden, in "Vengeance is Mine" bleibt dessen schmutziges Machwerk hingegen bis zum Ende ungeklärt. Seine Gewalt verübt Iwao ohne Kontext und so schnell, dass der Zuschauer keine Gelegenheit bekommt, Empathie für das Opfer aufzubauen oder Hass für den Täter zu empfinden.
Trotz der emotionalen Distanzierung hat Imamura letztlich doch eine zutiefst verstörenden und meisterlichen Film gedreht. Ein kaltes Portrait einer Gesellschaft, in der jede Form von menschlicher Zuneigung abhanden gekommen ist. In der Sexualität nur mehr dem opportunistischem Lustgewinn dient. In der selbst Gewalt nicht aus einem emotionalen Hintergrund heraus, sondern aufgrund eines natürlichen Triebes verübt zu werden scheint.
"Vengeance is Mine" ist ein überaus anstrengender Film, der jede sensationslüsterne Darstellung eines Serienkillers unterlässt und dem Zuschauer die Identifikationsfiguren verwehrt. Gerade wegen seiner Verweigerung auf das psychologische Ausschlachten seiner Hauptfigur aber wohl einer glaubhaftesten und verstörendsten Vertreter seines Genres. Letztendlich war Imamura eben nicht der humanistische Psychologe, sondern der scharfsinnige Anthropologe des japanischen Films.
Fazit:
"Vengeance is Mine" ist ein emotional distanzierter, meisterlich inszenierter Serienkiller-Film, der jedoch weniger daran interessiert zu sein scheint, die Taten seines Protagonisten zu analysieren, als anhand seines Beispiels ein eiskaltes und zutiefst verstörendes Portrait der japanischen Gesellschaft zu zeichnen.
9 von 10 Punkten = Meisterwerk!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 30. 10. 2014
Geschrieben von Pablo Knote
Screenshots (spiegeln die Qualität der DVD wieder):
created by Nippon-Kino.net
all rights reserved.
all rights reserved.