The Ivory Tower (1966)
Ein Film von Satsuo Yamamoto

Bewertung: 8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Shiroi kyoto
Genre: Gendai-geki, Shakai-mono
Regie: Satsuo Yamamoto
Darsteller: Jiro Tamiya (Goro Zaizen), Eijiro Tono (Azuma), Eitaro Ozawa (Ugaia), Takahiro Tamura (Shuji Satomi), Eiji Funakoshi (Kikukawa), Osamu Takizawa (Funao), Shiho Fujimura (Saeko), Mayumi Ogawa (Keiko), Teruo Kishi (Masako), Yoshi Kato (Okochi), Masao Shimizu Gesamter Cast anzeigen...
Drehbuch: Shinobu Hashimoto (Buch: Toyoko Yamasaki)
Kamera: Nobuo Munekawa
Musik: Sei Ikeno
Daiei Studios, 150 Minuten, B/W
Shiroi kyoto
Genre: Gendai-geki, Shakai-mono
Regie: Satsuo Yamamoto
Darsteller: Jiro Tamiya (Goro Zaizen), Eijiro Tono (Azuma), Eitaro Ozawa (Ugaia), Takahiro Tamura (Shuji Satomi), Eiji Funakoshi (Kikukawa), Osamu Takizawa (Funao), Shiho Fujimura (Saeko), Mayumi Ogawa (Keiko), Teruo Kishi (Masako), Yoshi Kato (Okochi), Masao Shimizu Gesamter Cast anzeigen...
Drehbuch: Shinobu Hashimoto (Buch: Toyoko Yamasaki)
Kamera: Nobuo Munekawa
Musik: Sei Ikeno
Daiei Studios, 150 Minuten, B/W
Read the English version of this review at easternkicks.com.
Seit Satsuo Yamamoto in Donald Richies und Joseph L. Andersons "The Japanese Film: Arts and Industry" (1959) mit den Worten, "Er benutzt eine Axt, wo er ein Skalpell benutzen sollte" bedacht wurde, gilt das Werk des Regisseurs als polemisch, getrieben von didaktisch ausformulierten, linksgefärbten Thesen.
Dennoch muss man zweifellos die Integrität dieses Regisseurs und überzeugten Kommunisten bewundern: Yamamoto widmete sich den Schattenseiten der japanischen Gesellschaft und entlarvte ihre Misstände und Probleme - dies in einer Zeit, die von der Euphorie über den massiven wirtschaftlichen Aufschwung Japans geprägt war.
In "The Ivory Tower" behandelt er kritisch das unlautere Treiben der Ärzte in japanischen Krankenhäusern und wurde international dafür gefeiert. Bei seinem Erscheinen gewann Yamamotos Werk nicht nur drei Kinema Junpo-Awards, damals Japans respektiertester Film-Preis, sondern auch den "Silver Price" auf dem internationalen Filmfestival von Moskow.
Der Beruf des Arztes, genießt in Japan bis heute höchsten Respekt, sein Wort gilt als Gesetz, seine Authorität wird kaum in Frage gestellt. Genau dies wird einigen Patienten im vorliegenden Film zum Verhängnis, denn, wie Yamamoto zeigt, ist das Wohlbefinden der Patienten längst nicht mehr die oberste Priorität der "Engel in Weiß".
Story:
Goro Zaizen (Jiro Tamiya) ist ein talentierter junger Chirurg mit großen Ambitionen: Mithilfe seines wohlhabenden Stiefvaters (Kenjiro Ishiyama), will er zum nächsten Leiter seiner Abteilung gewählt werden und erkauft sich eifrig Unterstützer. Abgestoßen von Goros arrogantem Verhalten versucht sein Vorgesetzter Professor Azuma (Eijiro Tono) dies zu verhindern und schlägt stattdessen den Arzt Kikukawa (Eiji Funakoshi) als Nachfolger seiner Position vor. Während Goro und Azuma eifrig Unterstützer sammeln, hegt der idealistische Arzt Satomi (Takahiro Tamura) Zweifel an Goros Integrität als Mediziner und versucht, dessen unlautere Machenschaften zu enthüllen...
Kritik:
In "The Ivory Tower" werden die unlauteren Machenschaften der medizinischen Fakultäten zu einem Mikrokosmos der japanischen Gesellschaft. Nicht nur die geschundenen Patienten der Krankenhäusern leiden, es ist der Staat selbst, der von dem Tumor eines neo-feudalistischen Gesellschaftsmodells zerfressen wird.
Für die Ärzte ist das Wohl der Patienten längst zweitrangig geworden. Schließlich ist es nicht ihr Talent, sondern der soziale Stand, der zum beruflichen Erfolg führt. So stimmt ein Pharmazeutiker in einer Wahl für den Günstling eines Arztes, der dafür die Einführung eines bestimmten Medikaments gewährleistet. Eine Vetternwirtschaft, in der mehr Wert auf Beziehungen als auf persönliche Integrität gelegt wird.
Satsuo Yamamotos Verweigerung, diesen Misstand vor dem Publikum zu verbergen, wird schon in den ersten Minuten symbolisiert, wenn wir Zeuge von Szenen einer realen Magenoperation werden, die dem Zuschauer in detaillierten Einstellungen präsentiert wird. So wie der Magen des Patienten aufgeschnitten wird, seziert Yamamoto dann auch sein Subjekt: Akribisch, kompromißlos und radikal, ohne den Blick abzuwenden.
Während Yamamoto das Weiterleben der feudalistischen Gedanken kompromißlos enthüllt, entlarvt er an mancher Stelle auch seine eigene pro-kommunistische Haltung, etwa wenn er die ruchlosen Praktiken der Hauptfigur mit der harten und ehrlichen Arbeit seiner Mutter kontrastiert, eine bescheidene Farmerin, ehrlich und simpel, also eine mustergültige Proletarierin nach Lehrbuch.
Hier liegt genau das Problem von ideologischem Filmemachen. Der Moment, wenn die Ideologie, in ihrer Natur theoretisch und lebensfern, die soziale Realität überschattet. In schwächeren Vertretern des "Shakai-mono" ("Problemfilms") wird das Subjekt der kritischen Aufarbeitung zum bloßen Mittel reduziert, eine politische Einstellung zu feiern und somit zur reinen Propaganda.
Es ist das hervorragende Drehbuch von Meister Shinobu Hashimoto, welches den Film letztlich von einer überbordenden Didaktik befreit. Er verleiht der Korrumpierbarkeit jedem der vielen Charaktere eigene Motive, kleine Nuancen, die jede Figur prägnant gestalten, aber ihre Taten dennoch als Symptom eines größeren Zusammenhangs aufzeigt.
Der Misstand liegt nicht nur bei den Ärzten, sondern vorallem in ihrem rückständigen System, welches diese Taten nicht nur toleriert, sondern sogar unterstützt. In diesem institutionellen Geflecht aus Hierarchie und Beziehung wirken die wenigen ehrlichen Ärzte, Yoshi Katos aufrichtiger Basismediziner oder Takahiro Tamuras couragierter Assistenzprofessor, wie Fremdkörper, die verzweifelt an der Illusion einer medizinischen Berufsethik festhalten.
Ein hervorragender Ensemble-Cast unterstützt dieses Urteil der Filmemacher mit glaubhaften Leistungen. Jiro Tamiya, ein Star aus Daieis Kriminalfilmen, spielt seinen Goro Zaizen mit Gewiftheit und hämischer Arroganz, Takahiro Tamura ist in seine Paraderolle als ehrliches Überbleibsel einer verkommenen Welt zu sehen und Veteranen wie Eijiro Tono, Eitaro Ozawa oder Kenjiro Ishiyama überzeugen als verschlagene Mediziner.
Visuell wählt Yamamoto den Stil ähnlich angelegter Daiei-"Shakai-mono" von Regisseuren wie Yasuzo Masumura. Präzise, sorgsam komponierte S/W-Aufnahmen, dazu ein dröhnender, oft dissonanter Soundtrack. Nicht sonderlich originell vielleicht, aber in seiner übersteigerten Anlehnung an die visuellen Stilmittel des Film-Noir äußerst effektiv.
Es wohl wahr, dass Yamamotos Wut auf den japanischen Feudalismus und die soziale Ungerechtigkeit die zentrale Antribeskraft seiner persönlicheren Filme war. In seinen besten Werken bewahrte Yamamoto als Regisseur jedoch dokumentarische Objektivität und analysierte seine Thesen anhand packenden Handlungen und prägnanten Protagonisten.
"The Ivory Tower" gehört in diese Kategorie. Mit mehr als zwei Stunden Laufzeit ist der Film ein wenig zu lang und nicht völlig frei von einer tendentiösen Betrachtung des Geschehens, doch er vermeidet eine ideologische Überfrachtung desselben mit starken Charakteren, einem packenden Plot und - vorallem - einer präzisen Untersuchung der zentalen Misstände, deren Radikalität selbst nach 50 Jahren noch Respekt verdient.
Fazit:
"The Ivory Tower" ist eine überlange, aber packend erzählte und düster inszenierte Verurteilung der mangelnde Berufsethik des japanischen Medizinwesens, die eine ideologische Überfrachtung durch hervorragende Darsteller und einem präzisen Drehbuch des legendären Shinobu Hashimoto umgeht.
8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Erstveröffentlichung als englische Version dieser Kritik auf easternkicks.com am 04.11.2015
Zweitveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 25.01.2016
Geschrieben von Pablo Knote
Seit Satsuo Yamamoto in Donald Richies und Joseph L. Andersons "The Japanese Film: Arts and Industry" (1959) mit den Worten, "Er benutzt eine Axt, wo er ein Skalpell benutzen sollte" bedacht wurde, gilt das Werk des Regisseurs als polemisch, getrieben von didaktisch ausformulierten, linksgefärbten Thesen.
Dennoch muss man zweifellos die Integrität dieses Regisseurs und überzeugten Kommunisten bewundern: Yamamoto widmete sich den Schattenseiten der japanischen Gesellschaft und entlarvte ihre Misstände und Probleme - dies in einer Zeit, die von der Euphorie über den massiven wirtschaftlichen Aufschwung Japans geprägt war.
In "The Ivory Tower" behandelt er kritisch das unlautere Treiben der Ärzte in japanischen Krankenhäusern und wurde international dafür gefeiert. Bei seinem Erscheinen gewann Yamamotos Werk nicht nur drei Kinema Junpo-Awards, damals Japans respektiertester Film-Preis, sondern auch den "Silver Price" auf dem internationalen Filmfestival von Moskow.
Der Beruf des Arztes, genießt in Japan bis heute höchsten Respekt, sein Wort gilt als Gesetz, seine Authorität wird kaum in Frage gestellt. Genau dies wird einigen Patienten im vorliegenden Film zum Verhängnis, denn, wie Yamamoto zeigt, ist das Wohlbefinden der Patienten längst nicht mehr die oberste Priorität der "Engel in Weiß".
Story:
Goro Zaizen (Jiro Tamiya) ist ein talentierter junger Chirurg mit großen Ambitionen: Mithilfe seines wohlhabenden Stiefvaters (Kenjiro Ishiyama), will er zum nächsten Leiter seiner Abteilung gewählt werden und erkauft sich eifrig Unterstützer. Abgestoßen von Goros arrogantem Verhalten versucht sein Vorgesetzter Professor Azuma (Eijiro Tono) dies zu verhindern und schlägt stattdessen den Arzt Kikukawa (Eiji Funakoshi) als Nachfolger seiner Position vor. Während Goro und Azuma eifrig Unterstützer sammeln, hegt der idealistische Arzt Satomi (Takahiro Tamura) Zweifel an Goros Integrität als Mediziner und versucht, dessen unlautere Machenschaften zu enthüllen...
Kritik:
In "The Ivory Tower" werden die unlauteren Machenschaften der medizinischen Fakultäten zu einem Mikrokosmos der japanischen Gesellschaft. Nicht nur die geschundenen Patienten der Krankenhäusern leiden, es ist der Staat selbst, der von dem Tumor eines neo-feudalistischen Gesellschaftsmodells zerfressen wird.
Für die Ärzte ist das Wohl der Patienten längst zweitrangig geworden. Schließlich ist es nicht ihr Talent, sondern der soziale Stand, der zum beruflichen Erfolg führt. So stimmt ein Pharmazeutiker in einer Wahl für den Günstling eines Arztes, der dafür die Einführung eines bestimmten Medikaments gewährleistet. Eine Vetternwirtschaft, in der mehr Wert auf Beziehungen als auf persönliche Integrität gelegt wird.
Satsuo Yamamotos Verweigerung, diesen Misstand vor dem Publikum zu verbergen, wird schon in den ersten Minuten symbolisiert, wenn wir Zeuge von Szenen einer realen Magenoperation werden, die dem Zuschauer in detaillierten Einstellungen präsentiert wird. So wie der Magen des Patienten aufgeschnitten wird, seziert Yamamoto dann auch sein Subjekt: Akribisch, kompromißlos und radikal, ohne den Blick abzuwenden.
Während Yamamoto das Weiterleben der feudalistischen Gedanken kompromißlos enthüllt, entlarvt er an mancher Stelle auch seine eigene pro-kommunistische Haltung, etwa wenn er die ruchlosen Praktiken der Hauptfigur mit der harten und ehrlichen Arbeit seiner Mutter kontrastiert, eine bescheidene Farmerin, ehrlich und simpel, also eine mustergültige Proletarierin nach Lehrbuch.
Hier liegt genau das Problem von ideologischem Filmemachen. Der Moment, wenn die Ideologie, in ihrer Natur theoretisch und lebensfern, die soziale Realität überschattet. In schwächeren Vertretern des "Shakai-mono" ("Problemfilms") wird das Subjekt der kritischen Aufarbeitung zum bloßen Mittel reduziert, eine politische Einstellung zu feiern und somit zur reinen Propaganda.
Es ist das hervorragende Drehbuch von Meister Shinobu Hashimoto, welches den Film letztlich von einer überbordenden Didaktik befreit. Er verleiht der Korrumpierbarkeit jedem der vielen Charaktere eigene Motive, kleine Nuancen, die jede Figur prägnant gestalten, aber ihre Taten dennoch als Symptom eines größeren Zusammenhangs aufzeigt.
Der Misstand liegt nicht nur bei den Ärzten, sondern vorallem in ihrem rückständigen System, welches diese Taten nicht nur toleriert, sondern sogar unterstützt. In diesem institutionellen Geflecht aus Hierarchie und Beziehung wirken die wenigen ehrlichen Ärzte, Yoshi Katos aufrichtiger Basismediziner oder Takahiro Tamuras couragierter Assistenzprofessor, wie Fremdkörper, die verzweifelt an der Illusion einer medizinischen Berufsethik festhalten.
Ein hervorragender Ensemble-Cast unterstützt dieses Urteil der Filmemacher mit glaubhaften Leistungen. Jiro Tamiya, ein Star aus Daieis Kriminalfilmen, spielt seinen Goro Zaizen mit Gewiftheit und hämischer Arroganz, Takahiro Tamura ist in seine Paraderolle als ehrliches Überbleibsel einer verkommenen Welt zu sehen und Veteranen wie Eijiro Tono, Eitaro Ozawa oder Kenjiro Ishiyama überzeugen als verschlagene Mediziner.
Visuell wählt Yamamoto den Stil ähnlich angelegter Daiei-"Shakai-mono" von Regisseuren wie Yasuzo Masumura. Präzise, sorgsam komponierte S/W-Aufnahmen, dazu ein dröhnender, oft dissonanter Soundtrack. Nicht sonderlich originell vielleicht, aber in seiner übersteigerten Anlehnung an die visuellen Stilmittel des Film-Noir äußerst effektiv.
Es wohl wahr, dass Yamamotos Wut auf den japanischen Feudalismus und die soziale Ungerechtigkeit die zentrale Antribeskraft seiner persönlicheren Filme war. In seinen besten Werken bewahrte Yamamoto als Regisseur jedoch dokumentarische Objektivität und analysierte seine Thesen anhand packenden Handlungen und prägnanten Protagonisten.
"The Ivory Tower" gehört in diese Kategorie. Mit mehr als zwei Stunden Laufzeit ist der Film ein wenig zu lang und nicht völlig frei von einer tendentiösen Betrachtung des Geschehens, doch er vermeidet eine ideologische Überfrachtung desselben mit starken Charakteren, einem packenden Plot und - vorallem - einer präzisen Untersuchung der zentalen Misstände, deren Radikalität selbst nach 50 Jahren noch Respekt verdient.
Fazit:
"The Ivory Tower" ist eine überlange, aber packend erzählte und düster inszenierte Verurteilung der mangelnde Berufsethik des japanischen Medizinwesens, die eine ideologische Überfrachtung durch hervorragende Darsteller und einem präzisen Drehbuch des legendären Shinobu Hashimoto umgeht.
8.5 von 10 Punkten = Überragend!
Erstveröffentlichung als englische Version dieser Kritik auf easternkicks.com am 04.11.2015
Zweitveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 25.01.2016
Geschrieben von Pablo Knote
Screenshots (spiegeln die Qualität der DVD wieder):
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