A Fugitive from the Past (1965)
Ein Film von Tomu Uchida
Bewertung: 9 von 10 Punkten = Meisterwerk
Kiga kaikyo
Genre: Gendai-geki, Kriminalfilm, Shakai-Mono
Regie: Tomu Uchida
Darsteller: Rentaro Mikuni (Takichi Inukai), Sachiko Hidari (Yae Sugito), Junzaburo Ban (Yumisaka), Koji Mitsui (Motojima), Yoshi Kato (Yae's Father), Sadako Sawamura (Motojima's Wife), Susumu Fujita (Police Chief), Ken Takakura (Ajimura), Akiko Kazami (Toshiko), Seiichiro Kameishi, Shusuke Sono (Owner of Asashi Spa), Mitsuo Ando (Chukichi Kijima), Rin'ichi Yamamoto (Priest), Shoken Sawa, Tadashi Suganuma (Detective Saito), Sachi Shindo (Yumisaka's Wife), Yuriko Anjo (Tokiko Katsuragi), Koji Sekiyama (Detective Horiguchi), Itsuma Mogami (Hachiro Numata), Gesamten Cast anzeigen...
Drehbuch: Naoyuki Suzuki (Buch: Tsutomu Minakami)
Kamera: Hanjiro Nakazawa
Musik: Isao Tomita
Toei Company, 183 Minuten, S/W
Kiga kaikyo
Genre: Gendai-geki, Kriminalfilm, Shakai-Mono
Regie: Tomu Uchida
Darsteller: Rentaro Mikuni (Takichi Inukai), Sachiko Hidari (Yae Sugito), Junzaburo Ban (Yumisaka), Koji Mitsui (Motojima), Yoshi Kato (Yae's Father), Sadako Sawamura (Motojima's Wife), Susumu Fujita (Police Chief), Ken Takakura (Ajimura), Akiko Kazami (Toshiko), Seiichiro Kameishi, Shusuke Sono (Owner of Asashi Spa), Mitsuo Ando (Chukichi Kijima), Rin'ichi Yamamoto (Priest), Shoken Sawa, Tadashi Suganuma (Detective Saito), Sachi Shindo (Yumisaka's Wife), Yuriko Anjo (Tokiko Katsuragi), Koji Sekiyama (Detective Horiguchi), Itsuma Mogami (Hachiro Numata), Gesamten Cast anzeigen...
Drehbuch: Naoyuki Suzuki (Buch: Tsutomu Minakami)
Kamera: Hanjiro Nakazawa
Musik: Isao Tomita
Toei Company, 183 Minuten, S/W
A Fugitive from the Past, auch bekannt als "Hunger Straits", wird heute von vielen Kritikern als das große Meisterwerk des Regisseurs Tomu Uchida bezeichnet und wurde 1995 und 1999 zum sechst- bzw. drittbesten japanischen Film aller Zeiten vom renommierten Kinema Junpo-Magazin gewählt. Wieso der Film diesen hohen Stellenwert besitzt, erschließt sich einem wohl am besten, wenn man ihn vom Standpunkt des Regisseurs betrachtet.
Vor dem Krieg wurde Tomu Uchida für seine sozialkritischen Keiko-Eiga ("Tendenz-Filme") gefeiert, welche der japanischen Gesellschaft gnadenlos ihre Schattenseiten vorhielten und zudem über ein deutliches links-ideologisches Gedankengut verfügten, doch während des Krieges wurde aus dem kritischen, jungen Sozialisten ein vermeintlich rechtsradikaler Ultra-Nationalist, der für sein Vaterland (ob bereitwillig oder gezwungenermaßen) propagandistische Filme in der Mandschurei drehte.
Nach vielen Jahren der Gefangenschaft in einem mandschurischen Kriegsgefangenenlager kehrte Uchida schließlich nach Japan zurück und konnte sich in der Nachkriegszeit erneut als gefeierter Regisseur von kommerziell extrem erfolgreichen Jidai-geki etablieren, welche allerdings wenig von dem einstigen Sozialbewusstsein und der kritischen Schärfe des jungen Uchidas besaßen.
A Fugitive from the Past war damit ein großes Traumprojekt von Uchida, welches ihm nach dem gigantischen Erfolg seiner sechsteiligen Musashi Miyamoto-Reihe vergönnt war, und markiert seinen Versuch sich mit der japanischen Nachkriegsgeschichte auseinander zu setzen und damit auch seine Rückkehr zum Stil seiner analytischen und gesellschaftskritischen Filme, welche er vor dem Krieg drehte.
Ein Versuch, der tatsächlich nur als großer Erfolg zu bezeichnen ist, denn in A Fugitive from the Past schafft es Uchida noch einmal einen messerscharfen Blick auf die Nachkriegsgesellschaft Japans zu werfen, seine Thematik mit einer eindrücklichen Symbolik zu untermauern und überraschend auch Elemente aus dem Zen-Buddhismus einzubringen.
Story:
Japan 1947: Ein Taifun nähert sich der Meeresenge zwischen Honshu und Hokkaido und verwüstet weite Landstriche der Küstenregion. Als sich das Unwetter gelegt hat, finden Rettungskräfte unter den Trümmern nicht nur Opfer des Sturms, sondern auch drei Menschen, welche von skrupellosen Tätern um ihren Besitz und ihre Leben gebracht worden waren. Unter Leitung des Polizeibeamten Yumisaka (Junzaburo Ban) können schon bald zwei Ex-Sträflinge und der Kriminelle Takichi Inukai (Rentaro Mikuni) als Täter ausfindig gemacht werden, welche sich zur selben Zeit auf der Flucht befanden und das Unwetter nutzten um einen Brand im Haus ihrer Mordopfer zu legen. Einem der drei, Inukai, gelingt es schließlich bei der Prostituierten Yae Sugito (Sachiko Hidari) unterzukommen, welche er aus Dankbarkeit nach seiner Abreise mit einer großen Geldsumme entlohnt. Während Yae das Geld nutzt um ihre Schulden abzubezahlen und nach Tokyo zu reisen, um dort eine anständigere Arbeit zu finden, wird Inukai im Nachkriegsjapan unter neuer Identität ein reicher Großindustrieller. Doch die Polizei sucht weiterhin intensiv nach den Mördern von damals und bringt Inukais neue Identität mit ihren Ermittlungen gefährlich ins Wanken...
Kritik:
Mehr noch als die Darsteller spielt in A Fugitive from the Past das Wasser die Hauptrolle. Am Anfang manifestiert durch einen Taifun, der auf das japanische Festland zustürmt und die umliegenden Städte und Landschaften verwüstet. Doch im Zentrum von Uchidas Aufmerksamkeit steht hier eine Fähre, welche von dem Unwetter überrascht wurde und nun von den Wellen wie ein Spielzeug hin und her geschlagen wird, während die Behörden verzweifelt versuchen, die hilflose Besatzung des Schiffes zu retten.
Bald schon erweist sich das Schiff als klare Metapher für das Nachkriegsjapan selbst, welches durch den Krieg und selbstverschuldetem Größenwahn ins Chaos gestürzt wurde und nun auf die Hilfe fremder Einflüsse (d.h die Rettungskräfte) angewiesen ist, um nicht unterzugehen Wem diese Interpretation jetzt ein wenig weit hergeholt erscheint, der wird mir vielleicht glauben, wenn ich ihm die metaphysische Bedeutung des Wassers im Film veranschauliche.
Das Wasser ist klar ersichtlich ein klug eingesetztes Symbol für den Krieg selbst, welcher sich nicht nur in Form von Zerstörung und Verwüstung äußert (= der Taifun), sondern auch auf einer psychologischen Ebene schwere Wunden reißt und selbst in Friedenszeiten die Verbrechen, begangen von tragischen Produkten einer entmenschlichten und gewalttätigen Gesellschaft, wieder anschwemmt und damit erneut ins Bewusstsein der Betroffenen rückt.
Wann immer sich ein Charakter in A Fugitive from the Past mit Schuld belädt oder sich eine schicksalhafte Wendung seines Lebens ankündigt, dann fängt es an in Strömen zu regnen oder das Meer, manchmal auch nur seine Klänge, sind zu sehen oder zu hören. Passenderweise endet und beginnt A Fugitive from the Past dann auch mit der Ansicht auf das Meer, welches im Film die Emotionen und Schicksale der Charaktere verdeutlicht.
Dieses visuelle Konzept veranschaulicht Tomu Uchida zusätzlich noch durch einen plötzlich einsetzenden Bild-Effekt, bei dem die Szenerie schlagartig in ein negatives Format überkippt und ein sphärischer Chor erklingt, welcher die Atmosphäre mit Fatalismus und Mystik erfüllt. Eine überaus intensive Bildersprache, die für eine fast transzendentale Überhöhung des Geschehens sorgt.
Uchida zeichnet hier das Bild von den tragischen Abkömmlingen des Krieges, welchen es nicht vergönnt ist aus ihrer Spirale der Gewalt und Unterdrückung auszubrechen und ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Letztendlich ist dies natürlich nur konsequent, da ein vorbildliches Handeln in der Gegenwart die Taten von einst nicht vergessen machen kann, besonders nicht, wenn man die Vergangenheit einfach verdrängt, anstelle sie sorgsam aufzuarbeiten.
Dieser thematische Handlungskern erlaubt dem Regisseur ein sozialkritisches Bild der Nachkriegsgesellschaft zu zeichnen, welche das kollektive Vergessen der Kriegsgräuel bewusst unterstützte und einstigen Mördern, dargestellt durch Rentaro Mikunis Charakter, erlaubte, ungestraft zu Mitgliedern der neuen Führungselite zu werden.
Bemerkenswert ist vor allem wie humanistisch sich Uchida der Beurteilung der einstigen Täter nähert. Im Laufe des Films wird es Rentaro Mikunis Charakter sogar gestattet, unkommentiert seine eigene Version der Vergangenheit zu erzählen, welche seine einstigen Taten in ein reines Licht rücken. Dem Zuschauer selbst bleibt es nun überlassen, ob er ihm glaubt oder ihn weiterhin lieber als skrupellosen Mörder verachtet.
Doch trotzdem muss Inukai schließlich für seine Taten büßen, und zwar für jene, welche er nach dem Krieg beging, in seinem verzweifelten Versuch seine Vergangenheit zu vertuschen. Es sind also weniger die Täter an sich, welche Uchida anprangert, sondern das bewusste Verdrängen ihrer einstigen Verbrechen und das heuchlerische Reinwaschen derselben.
In diesem Themenkomplex steckt ein bemerkenswertes humanistischer Gedankengut, aber auch sehr deutlich Motive aus dem zen-buddhistischen Prinzip des Karmas. Jede Tat erzeugt eine Gegentat, jedes Schicksal ist auf kosmische Weise miteinander verbunden und es gibt kein Entrinnen aus dem ewigen Kreislauf der Schuld, was den Charakteren des Films eine tief bewegende, tragische Note verleiht.
Doch A Fugitive from the Past ist viel mehr als ein Film über Karma oder über Kriegsschuld. Einen erheblichen Teil seiner dreistündigen Laufzeit folgt der Film nämlich auch der Prostituierten Yae, welche als Buraku (koreanisch-stämmige Japanerin) harten Diskriminierungen ausgesetzt ist, so dass es ihr selbst nach dem erreichten Wohlstand nicht ermöglicht wird, aus ihrem brutalen und geächteten Gewerbe auszusteigen.
Mit ihrer Figur erhält der Film deutliche Elemente eines Shakai-mono, also eines "Problemfilms", welcher mutig die Tabuzonen der japanischen Gesellschaft angreift. Ziemlich überraschend für einen Regisseur, der zum Drehzeitpunkt schon über 60 Jahre alt war und bis heute den Ruf eines rechten Ultra-Nationalisten inne hat!
Letztendlich ist A Fugitive from the Past aber auch ein Film über Besessenheit. Unsere Hauptfigur Inukai ist besessen davon seine Vergangenheit zu überwinden, der Detektiv Yumisaka ist bis zur Selbstaufgabe davon besessen ihn zu jagen und auch Yae ist davon besessen, ihren einstigen Retter Inukai wiederzusehen und ihm für seine Gunst zu danken (skurril veranschaulicht durch einen von Inukais Zehennägel, welchen sie als Fetisch an ihrem Körper trägt).
Die Schauspieler dieser faszinierenden Figuren sind dann glücklicherweise auch eine Wucht, ansonsten würde der Film schlichtweg nicht funktionieren. Sowohl Sachiko Hidari als auch Junzaburo Ban verleihen ihren gebeutelten Charakteren eine beeindruckende Tiefe und Vielschichtigkeit und daneben überzeugen so profilierte Darsteller wie Susumu Fujita, Yoshi Kato oder ein junger Ken Takakura in Nebenrollen. Letzterer sollte im selben Jahr mit einigen Hauptrollen in Ninkyo-Filmen zum neuen Superstar der japanischen Jugend werden.
Doch Rentaro Mikuni spielt sie alle an die Wand. Mikuni war kein Schauspieler wie Toshiro Mifune oder Shintaro Katsu, der fast seine gesamte Karriere auf das Verkörpern eines einzigen Rollentyps und seines gewaltigen Charismas aufbaute, sondern ein perfektionistischer Charakterdarsteller, der mit seiner gigantischen Wandlungsfähigkeit jeder seiner Rolle ein bemerkenswertes Maß an Nuancen und Einzigartigkeit verlieh, und in jedem seiner Filme einen neuen Charakter von Kopf bis Fuß schuf.
Sein Takichi Inukai ist ein überaus komplexer und vielschichtiger Mensch, der im Film sowohl den hassenswerten Antagonisten als auch den tragischen Helden verkörpern muss. Ein durchaus sympathischer und bemitleidenswerter, aber gleichzeitig auch zutiefst verachtenswerter Zeitgenosse, der zusammen mit Tatsuya Nakadais Hanshiro Tsugumo in Harakiri und Chishu Ryus Vater in Tokyo Story zu den kraftvollsten Figuren des japanischen Kinos zählt.
Auch technisch profitiert der Film von dem meisterhaften Regietalent des Veteranen Uchida, welcher es schafft seine Atmosphäre mit einer lyrischen Poesie und jener kraftvollen Symbolik aufzuladen, die dem Film ein großes Maß an subtiler Spannung verleihen, so dass er trotz seiner überbordenden Länge und langsamen Erzählweise niemals langweilig wird. Dies ist aber auch der Tatsache zu verdanken, dass der Film auch abseits seiner tiefgründigen Symbolik einfach ein exzellenter Unterhaltungsfilm ist, der den Zuschauer mit zahlreichen Twists und Wendungen bei Laune hält.
Zusammen mit Kameramann Hanshiro Nakazawa erschafft Uchida eine messerscharfe und expressive Bilderwelt mit manchmal surrealistischen Anklängen, welche uns durch verwüstete Landschaften, dicht bevölkerte Metropolen und rückständige Dorfgemeinden führt und uns damit einen unverstellten Blick auf das gesamte Japan der Nachkriegsjahre ermöglicht. In manchen Einstellungen lassen sich zudem deutliche progressive Elemente und eine Annäherung an die Nuberu Bagu des als konservativ geltenden Uchida erkennen, etwa in seinem Einsatz einer Wackelkamera oder intensiven schrägen Kamerawinkeln.
Zuletzt ist auf technischer Ebene noch der brillante Soundtrack von Synthesizer-König Isao Tomita anzumerken, der mal jene buddhistischen Motive mit seinen sphärischen und spirituellen Chorälen verdichtet und mal dem Geschehen mit klassischer Spannungsmusik eine nervenauftreibende Rasanz und Dynamik verleiht.
Doch trotzdem muss sich ein Film von einem Regisseur, der vor dem Krieg links, im Krieg rechts und nach dem Krieg liberal war, die Frage gefallen lassen, in wie weit er ein ehrliches Statement darstellt. War aus dem vermeintlichen Nationalisten nach dem Krieg wirklich ein kritischer Humanist geworden oder ist der Film eher ein Produkt von Uchidas vielleicht vorhandenem Opportunismus? Tomu Uchidas Karriere wird wohl weiterhin voller Widersprüche und Ungereimtheiten stecken, doch dies sorgt auch für eine große Faszination, welche seine Person zwangsläufig auslöst.
Letztendlich ist diese Fragestellung, zumindest in diesem Film, aber auch irrelevant, denn A Fugitve from the Past ist ein unumstößliches Meisterwerk. Ein Film, der es schafft, zugleich Charakter-Portrait, Nachkriegstudie, feministisches Prostitutions-Drama und Kriminalfilm zu sein und auf jedem dieser Gebiete bemerkenswerte Resultate erzielt.
Und selbst wenn man keinem dieser Themen etwas abgewinnen kann, dann bleiben zumindest noch die grandiose Inszenierung und die genialen Schauspieler, welche A Fugitve from the Past als unumstößliches Monumentalwerk des japanischen Kinos ausweisen und seinen Status als in Japan gefeiertes, aber im Westen vollkommen unbekanntes Werk beinahe unverzeihlich anmuten lassen.
Fazit:
A Fugitive from the Past ist ein gehaltvoll und technisch perfekt inszenierter Film, der seine zahlreichen Themen mit bemerkenswerter Präzision, intelligenter Symbolik und eindrucksvollem Humanismus verdeutlicht und dabei auf die Präsenz einiger meisterlicher Schauspieler bauen kann.
9 von 10 Punkten = Meisterwerk!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 21. 05. 2013
Zweitveröffentlichung auf "zelluloid.de" am 11. 08. 2013
Drittveröffentlichung als Teil des Programmhefts zum "Filmpdodium"-Festival "Japan im Spiegel seiner Filmklassiker"
Geschrieben von Pablo Knote
Vor dem Krieg wurde Tomu Uchida für seine sozialkritischen Keiko-Eiga ("Tendenz-Filme") gefeiert, welche der japanischen Gesellschaft gnadenlos ihre Schattenseiten vorhielten und zudem über ein deutliches links-ideologisches Gedankengut verfügten, doch während des Krieges wurde aus dem kritischen, jungen Sozialisten ein vermeintlich rechtsradikaler Ultra-Nationalist, der für sein Vaterland (ob bereitwillig oder gezwungenermaßen) propagandistische Filme in der Mandschurei drehte.
Nach vielen Jahren der Gefangenschaft in einem mandschurischen Kriegsgefangenenlager kehrte Uchida schließlich nach Japan zurück und konnte sich in der Nachkriegszeit erneut als gefeierter Regisseur von kommerziell extrem erfolgreichen Jidai-geki etablieren, welche allerdings wenig von dem einstigen Sozialbewusstsein und der kritischen Schärfe des jungen Uchidas besaßen.
A Fugitive from the Past war damit ein großes Traumprojekt von Uchida, welches ihm nach dem gigantischen Erfolg seiner sechsteiligen Musashi Miyamoto-Reihe vergönnt war, und markiert seinen Versuch sich mit der japanischen Nachkriegsgeschichte auseinander zu setzen und damit auch seine Rückkehr zum Stil seiner analytischen und gesellschaftskritischen Filme, welche er vor dem Krieg drehte.
Ein Versuch, der tatsächlich nur als großer Erfolg zu bezeichnen ist, denn in A Fugitive from the Past schafft es Uchida noch einmal einen messerscharfen Blick auf die Nachkriegsgesellschaft Japans zu werfen, seine Thematik mit einer eindrücklichen Symbolik zu untermauern und überraschend auch Elemente aus dem Zen-Buddhismus einzubringen.
Story:
Japan 1947: Ein Taifun nähert sich der Meeresenge zwischen Honshu und Hokkaido und verwüstet weite Landstriche der Küstenregion. Als sich das Unwetter gelegt hat, finden Rettungskräfte unter den Trümmern nicht nur Opfer des Sturms, sondern auch drei Menschen, welche von skrupellosen Tätern um ihren Besitz und ihre Leben gebracht worden waren. Unter Leitung des Polizeibeamten Yumisaka (Junzaburo Ban) können schon bald zwei Ex-Sträflinge und der Kriminelle Takichi Inukai (Rentaro Mikuni) als Täter ausfindig gemacht werden, welche sich zur selben Zeit auf der Flucht befanden und das Unwetter nutzten um einen Brand im Haus ihrer Mordopfer zu legen. Einem der drei, Inukai, gelingt es schließlich bei der Prostituierten Yae Sugito (Sachiko Hidari) unterzukommen, welche er aus Dankbarkeit nach seiner Abreise mit einer großen Geldsumme entlohnt. Während Yae das Geld nutzt um ihre Schulden abzubezahlen und nach Tokyo zu reisen, um dort eine anständigere Arbeit zu finden, wird Inukai im Nachkriegsjapan unter neuer Identität ein reicher Großindustrieller. Doch die Polizei sucht weiterhin intensiv nach den Mördern von damals und bringt Inukais neue Identität mit ihren Ermittlungen gefährlich ins Wanken...
Kritik:
Mehr noch als die Darsteller spielt in A Fugitive from the Past das Wasser die Hauptrolle. Am Anfang manifestiert durch einen Taifun, der auf das japanische Festland zustürmt und die umliegenden Städte und Landschaften verwüstet. Doch im Zentrum von Uchidas Aufmerksamkeit steht hier eine Fähre, welche von dem Unwetter überrascht wurde und nun von den Wellen wie ein Spielzeug hin und her geschlagen wird, während die Behörden verzweifelt versuchen, die hilflose Besatzung des Schiffes zu retten.
Bald schon erweist sich das Schiff als klare Metapher für das Nachkriegsjapan selbst, welches durch den Krieg und selbstverschuldetem Größenwahn ins Chaos gestürzt wurde und nun auf die Hilfe fremder Einflüsse (d.h die Rettungskräfte) angewiesen ist, um nicht unterzugehen Wem diese Interpretation jetzt ein wenig weit hergeholt erscheint, der wird mir vielleicht glauben, wenn ich ihm die metaphysische Bedeutung des Wassers im Film veranschauliche.
Das Wasser ist klar ersichtlich ein klug eingesetztes Symbol für den Krieg selbst, welcher sich nicht nur in Form von Zerstörung und Verwüstung äußert (= der Taifun), sondern auch auf einer psychologischen Ebene schwere Wunden reißt und selbst in Friedenszeiten die Verbrechen, begangen von tragischen Produkten einer entmenschlichten und gewalttätigen Gesellschaft, wieder anschwemmt und damit erneut ins Bewusstsein der Betroffenen rückt.
Wann immer sich ein Charakter in A Fugitive from the Past mit Schuld belädt oder sich eine schicksalhafte Wendung seines Lebens ankündigt, dann fängt es an in Strömen zu regnen oder das Meer, manchmal auch nur seine Klänge, sind zu sehen oder zu hören. Passenderweise endet und beginnt A Fugitive from the Past dann auch mit der Ansicht auf das Meer, welches im Film die Emotionen und Schicksale der Charaktere verdeutlicht.
Dieses visuelle Konzept veranschaulicht Tomu Uchida zusätzlich noch durch einen plötzlich einsetzenden Bild-Effekt, bei dem die Szenerie schlagartig in ein negatives Format überkippt und ein sphärischer Chor erklingt, welcher die Atmosphäre mit Fatalismus und Mystik erfüllt. Eine überaus intensive Bildersprache, die für eine fast transzendentale Überhöhung des Geschehens sorgt.
Uchida zeichnet hier das Bild von den tragischen Abkömmlingen des Krieges, welchen es nicht vergönnt ist aus ihrer Spirale der Gewalt und Unterdrückung auszubrechen und ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Letztendlich ist dies natürlich nur konsequent, da ein vorbildliches Handeln in der Gegenwart die Taten von einst nicht vergessen machen kann, besonders nicht, wenn man die Vergangenheit einfach verdrängt, anstelle sie sorgsam aufzuarbeiten.
Dieser thematische Handlungskern erlaubt dem Regisseur ein sozialkritisches Bild der Nachkriegsgesellschaft zu zeichnen, welche das kollektive Vergessen der Kriegsgräuel bewusst unterstützte und einstigen Mördern, dargestellt durch Rentaro Mikunis Charakter, erlaubte, ungestraft zu Mitgliedern der neuen Führungselite zu werden.
Bemerkenswert ist vor allem wie humanistisch sich Uchida der Beurteilung der einstigen Täter nähert. Im Laufe des Films wird es Rentaro Mikunis Charakter sogar gestattet, unkommentiert seine eigene Version der Vergangenheit zu erzählen, welche seine einstigen Taten in ein reines Licht rücken. Dem Zuschauer selbst bleibt es nun überlassen, ob er ihm glaubt oder ihn weiterhin lieber als skrupellosen Mörder verachtet.
Doch trotzdem muss Inukai schließlich für seine Taten büßen, und zwar für jene, welche er nach dem Krieg beging, in seinem verzweifelten Versuch seine Vergangenheit zu vertuschen. Es sind also weniger die Täter an sich, welche Uchida anprangert, sondern das bewusste Verdrängen ihrer einstigen Verbrechen und das heuchlerische Reinwaschen derselben.
In diesem Themenkomplex steckt ein bemerkenswertes humanistischer Gedankengut, aber auch sehr deutlich Motive aus dem zen-buddhistischen Prinzip des Karmas. Jede Tat erzeugt eine Gegentat, jedes Schicksal ist auf kosmische Weise miteinander verbunden und es gibt kein Entrinnen aus dem ewigen Kreislauf der Schuld, was den Charakteren des Films eine tief bewegende, tragische Note verleiht.
Doch A Fugitive from the Past ist viel mehr als ein Film über Karma oder über Kriegsschuld. Einen erheblichen Teil seiner dreistündigen Laufzeit folgt der Film nämlich auch der Prostituierten Yae, welche als Buraku (koreanisch-stämmige Japanerin) harten Diskriminierungen ausgesetzt ist, so dass es ihr selbst nach dem erreichten Wohlstand nicht ermöglicht wird, aus ihrem brutalen und geächteten Gewerbe auszusteigen.
Mit ihrer Figur erhält der Film deutliche Elemente eines Shakai-mono, also eines "Problemfilms", welcher mutig die Tabuzonen der japanischen Gesellschaft angreift. Ziemlich überraschend für einen Regisseur, der zum Drehzeitpunkt schon über 60 Jahre alt war und bis heute den Ruf eines rechten Ultra-Nationalisten inne hat!
Letztendlich ist A Fugitive from the Past aber auch ein Film über Besessenheit. Unsere Hauptfigur Inukai ist besessen davon seine Vergangenheit zu überwinden, der Detektiv Yumisaka ist bis zur Selbstaufgabe davon besessen ihn zu jagen und auch Yae ist davon besessen, ihren einstigen Retter Inukai wiederzusehen und ihm für seine Gunst zu danken (skurril veranschaulicht durch einen von Inukais Zehennägel, welchen sie als Fetisch an ihrem Körper trägt).
Die Schauspieler dieser faszinierenden Figuren sind dann glücklicherweise auch eine Wucht, ansonsten würde der Film schlichtweg nicht funktionieren. Sowohl Sachiko Hidari als auch Junzaburo Ban verleihen ihren gebeutelten Charakteren eine beeindruckende Tiefe und Vielschichtigkeit und daneben überzeugen so profilierte Darsteller wie Susumu Fujita, Yoshi Kato oder ein junger Ken Takakura in Nebenrollen. Letzterer sollte im selben Jahr mit einigen Hauptrollen in Ninkyo-Filmen zum neuen Superstar der japanischen Jugend werden.
Doch Rentaro Mikuni spielt sie alle an die Wand. Mikuni war kein Schauspieler wie Toshiro Mifune oder Shintaro Katsu, der fast seine gesamte Karriere auf das Verkörpern eines einzigen Rollentyps und seines gewaltigen Charismas aufbaute, sondern ein perfektionistischer Charakterdarsteller, der mit seiner gigantischen Wandlungsfähigkeit jeder seiner Rolle ein bemerkenswertes Maß an Nuancen und Einzigartigkeit verlieh, und in jedem seiner Filme einen neuen Charakter von Kopf bis Fuß schuf.
Sein Takichi Inukai ist ein überaus komplexer und vielschichtiger Mensch, der im Film sowohl den hassenswerten Antagonisten als auch den tragischen Helden verkörpern muss. Ein durchaus sympathischer und bemitleidenswerter, aber gleichzeitig auch zutiefst verachtenswerter Zeitgenosse, der zusammen mit Tatsuya Nakadais Hanshiro Tsugumo in Harakiri und Chishu Ryus Vater in Tokyo Story zu den kraftvollsten Figuren des japanischen Kinos zählt.
Auch technisch profitiert der Film von dem meisterhaften Regietalent des Veteranen Uchida, welcher es schafft seine Atmosphäre mit einer lyrischen Poesie und jener kraftvollen Symbolik aufzuladen, die dem Film ein großes Maß an subtiler Spannung verleihen, so dass er trotz seiner überbordenden Länge und langsamen Erzählweise niemals langweilig wird. Dies ist aber auch der Tatsache zu verdanken, dass der Film auch abseits seiner tiefgründigen Symbolik einfach ein exzellenter Unterhaltungsfilm ist, der den Zuschauer mit zahlreichen Twists und Wendungen bei Laune hält.
Zusammen mit Kameramann Hanshiro Nakazawa erschafft Uchida eine messerscharfe und expressive Bilderwelt mit manchmal surrealistischen Anklängen, welche uns durch verwüstete Landschaften, dicht bevölkerte Metropolen und rückständige Dorfgemeinden führt und uns damit einen unverstellten Blick auf das gesamte Japan der Nachkriegsjahre ermöglicht. In manchen Einstellungen lassen sich zudem deutliche progressive Elemente und eine Annäherung an die Nuberu Bagu des als konservativ geltenden Uchida erkennen, etwa in seinem Einsatz einer Wackelkamera oder intensiven schrägen Kamerawinkeln.
Zuletzt ist auf technischer Ebene noch der brillante Soundtrack von Synthesizer-König Isao Tomita anzumerken, der mal jene buddhistischen Motive mit seinen sphärischen und spirituellen Chorälen verdichtet und mal dem Geschehen mit klassischer Spannungsmusik eine nervenauftreibende Rasanz und Dynamik verleiht.
Doch trotzdem muss sich ein Film von einem Regisseur, der vor dem Krieg links, im Krieg rechts und nach dem Krieg liberal war, die Frage gefallen lassen, in wie weit er ein ehrliches Statement darstellt. War aus dem vermeintlichen Nationalisten nach dem Krieg wirklich ein kritischer Humanist geworden oder ist der Film eher ein Produkt von Uchidas vielleicht vorhandenem Opportunismus? Tomu Uchidas Karriere wird wohl weiterhin voller Widersprüche und Ungereimtheiten stecken, doch dies sorgt auch für eine große Faszination, welche seine Person zwangsläufig auslöst.
Letztendlich ist diese Fragestellung, zumindest in diesem Film, aber auch irrelevant, denn A Fugitve from the Past ist ein unumstößliches Meisterwerk. Ein Film, der es schafft, zugleich Charakter-Portrait, Nachkriegstudie, feministisches Prostitutions-Drama und Kriminalfilm zu sein und auf jedem dieser Gebiete bemerkenswerte Resultate erzielt.
Und selbst wenn man keinem dieser Themen etwas abgewinnen kann, dann bleiben zumindest noch die grandiose Inszenierung und die genialen Schauspieler, welche A Fugitve from the Past als unumstößliches Monumentalwerk des japanischen Kinos ausweisen und seinen Status als in Japan gefeiertes, aber im Westen vollkommen unbekanntes Werk beinahe unverzeihlich anmuten lassen.
Fazit:
A Fugitive from the Past ist ein gehaltvoll und technisch perfekt inszenierter Film, der seine zahlreichen Themen mit bemerkenswerter Präzision, intelligenter Symbolik und eindrucksvollem Humanismus verdeutlicht und dabei auf die Präsenz einiger meisterlicher Schauspieler bauen kann.
9 von 10 Punkten = Meisterwerk!
Erstveröffentlichung auf "nippon-kino.net" am 21. 05. 2013
Zweitveröffentlichung auf "zelluloid.de" am 11. 08. 2013
Drittveröffentlichung als Teil des Programmhefts zum "Filmpdodium"-Festival "Japan im Spiegel seiner Filmklassiker"
Geschrieben von Pablo Knote
Screenshots (spiegeln die Qualität der DVD wieder):
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